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© BÜCHERmagazin, Meike Dannenberg (md)
So gut kann deutscher Krimi sein: Oliver Bottini ermittelt in Rumänien und in Mecklenburg-Vorpommern.
Am 8. April 2011 um die Mittagszeit auf der A 19 bei Rostock: Aus einem blauen Himmel kommen stürmische Böen mit mehr als hundert Stundenkilometern. Sie fegen den trockenen Sand von den Feldern auf die vierspurige Autobahn und verhüllen sie auf einer Länge von sechshundert Metern mit einer undurchdringlichen Sanddecke. "Die Höllenwand" wird der "Stern" später seine Rekonstruktion der Massenkarambolage überschreiben. Zweiundachtzig Fahrzeuge krachen ineinander, acht Menschen sterben, hunderteinunddreißig werden verletzt, zweiundzwanzig davon schwer.
Inmitten dieses Chaos beginnt Oliver Bottinis neuer Roman: Mit der Auslöschung einer jungen Familie, die auf dem Weg nach Dänemark in den Urlaub war. Der Vater, Michael Winter, folgt später seinem früheren Chef Jörg Marthen nach Rumänien, der sich dort seit Mitte der Nullerjahre zum Großgrundbesitzer aufgeschwungen hat. Zu Hause im fiktiven Dorf Prenzlin in Mecklenburg-Vorpommern war kein Bleiben für ihn gewesen, als sich die ehemaligen SED-Kader die Reste der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften unter den Nagel rissen. Jetzt kommt Marthens Konkurrenz in Neu-Prenzlin - so tauft er den Sitz seiner Firma JM Romania - aus Dänemark, Österreich und Saudi-Arabien. Alle sammeln sie möglichst große Flächen, die sie den Bauern zu überhöhten Preisen abkaufen und dennoch dafür sorgen, dass heute bereits vierzig Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Rumäniens nicht mehr in einheimischer Hand sind.
Die beiden agrarindustriell geprägten Landstriche, der Nordosten Deutschlands und der Westen Rumäniens, liefern das gesellschaftliche Panorama, das Bottini in "Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens" aufspannt. Der zweiundfünfzigjährige gebürtige Nürnberger, der in Berlin lebt, hat etwas Außergewöhnliches getan: Er hat seiner bewährten Freiburger Kommissarin Louise Boni freigegeben, ist nach Rumänien gefahren und hat dort ausführliche Recherchen angestellt, von denen das Buch ungemein profitiert. Ein umfangreiches Personenregister ist eine willkommene Hilfestellung.
Die Handlung setzt in Rumänien ein, Ende September 2014. Kommissar Ioan Cozma betrachtet beim Inhalieren seiner Morgenzigarette das Flüsschen Bega - begradigt, zum Kanal degradiert, seine Sümpfe trockengelegt. Um Ackerland zu gewinnen. Damit ist der Blick auf Themen gelenkt, die den Roman grundieren: Monokultur, Landraub, Lebensmittelindustrie. Der Mittfünfziger Cozma selbst bliebe am liebsten bis zu seiner Pensionierung in einem der zahlreichen "stillen Winkel des Lebens", in denen sich auch andere Figuren der Erzählung verkrochen haben. In der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn hätte man gesagt, Cozma habe "es sich gerichet" - er möchte künftig unter dem Radar der Aufmerksamkeit operieren, keine spektakulären Fälle mehr übernehmen, sehen, ob er trotz dunkler Flecken auf seiner Weste den Ruhestand unbeschadet erreichen kann. Ähnliches gilt für seinen Mitarbeiter und engen Freund Cippo.
Leichter geplant als getan. Rumänien ist immer noch damit beschäftigt, die Untaten des Ceausescu-Regimes aufzudecken. Cozma fürchtet dabei besonders das IICCMER, das Institut für die Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen und des Gedenkens an das rumänische Exil. Und er bekommt es mit einer zweiten Organisation der neuen Zeit zu tun, der DNA, der nationalen Antikorruptionsbehörde. Cozmas Vorgesetzter bei der Kriminalpolizei, Paul Bejenaru, ist einer der neuen Besen, der seine Hand nicht länger schützend über die älteren Mitarbeiter halten kann. Denn er weiß, was Cozma verbirgt: Dass dieser in der alten Zeit einen faschistischen Gewaltverbrecher gefoltert hat, der den Spätfolgen dieser Behandlung erlag - was wiederum Cozma die längste Zeit nicht wusste. Als ihm dieses Licht aufgeht, hat es mit seinem Wegduckbemühen ein Ende. Dass sein jüdischer Vater ein Konzentrationslager nur als völlig gebrochener Mann überlebte, entschuldigt nichts, erklärt aber einiges.
Und dann kommt der Fall, der Cozma ins grelle Rampenlicht eines politisch verminten Geländes schickt. Eine junge Deutsche wird ermordet, Lisa Marthen, Tochter des deutschen Großgrundbesitzers. Da ein junger rumänischer Landarbeiter, der für Lisa schwärmte, abgängig ist, fällt der Verdacht der Ermittler naturgemäß auf ihn. Dieser Adrian Lascu flieht nach Deutschland und sucht ausgerechnet dort Deckung, wo die Familie Marthen herkommt - in Prenzlin. Also müssen die rumänischen Kriminaler ihm folgen. Aber sie sind nicht allein, denn ein Auftragskiller hat es ebenfalls auf Lascu abgesehen, weil er Zeuge des Mordes an Lisa und nicht Täter war.
Dieser Petre Fuia entpuppt sich am Ende als eine der interessantesten Figuren in einem an komplizierten Vorgeschichten nicht eben armen Personaltableau. Bottinis Porträt der letzten Aufrechten in Mecklenburg-Vorpommern, die sich gegen die Bonzen der Nachwendezeit stemmen, ist ebenso milieusicher wie einfühlend gearbeitet, wie er sich um detailgenaue Porträts rumänischer Kleinhäusler, ehemaliger Geheimdienstler und neureicher Globalisierungsgewinnler verdient macht.
Weder hier noch dort ist die Vergangenheit vorbei. Geheimdienstwissen von gestern ist heute noch Macht, mit der sich erpressen und Geld verdienen lässt. Misstrauen regiert, Reinwaschung stagniert. Und der Rest ist die gleiche Geschichte, die überall im Westen geschrieben wird, der sich dem Konsum ergeben hat. "Da hatten sie für die Demokratie gekämpft und den glitzernden Kapitalismus bekommen - und gaben sich damit zufrieden", geht es Cozma durch den Kopf, als er in Temeswar durch eine Einkaufspassage geht.
Der Titel intoniert die melancholische Grundstimmung. Trotz der vielen Verletzten und Einsamen schafft es Bottini, nicht in vollkommene Ausweglosigkeit abzugleiten. Zwischen einem vergifteten Gestern und einem unsicheren Morgen baut er eine wacklige Gegenwart, die Cozma annehmen muss. Ein Schwebezustand prägt den Roman, dessen politische Implikationen spannender sind als die Lösung des Falls, den er auf verschlungenen Pfaden auch verhandelt. Es ist schon häufiger gesagt worden, Oliver Bottini zähle zu den besten Krimiautoren, die derzeit in deutscher Sprache schreiben. Diesem Urteil ist zuzustimmen.
HANNES HINTERMEIER
Oliver Bottini: "Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens". Kriminalroman.
Dumont Buchverlag,
Köln 2017. 414 S., geb., 22,- [Euro].
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