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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
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Doron Rabinovici schreibt eine Mustererzählung über den rechten Populismus. Doch das Muster wirkt literarisch fadenscheinig.
Von Andreas Kilb
Eine moralische Erzählung muss nicht unbedingt eine Moral haben, sie kann sie auch als Spielmaterial nutzen. In Eric Rohmers Film "Meine Nacht bei Maud", dem vierten Teil seiner "Moralischen Geschichten", widersteht ein Mann einer klugen und verführerischen Frau, weil er sich in eine andere verliebt hat. Später stellt sich heraus, dass diese andere nicht so rein war, wie er es sich vorgestellt hat. Die Moral seines Handelns wird nicht desavouiert, aber ihre Voraussetzung gerät ins Zwielicht.
In Doron Rabinovicis Roman "Die Einstellung" knipst der Fotograf August Becker den populistischen Politiker Ulli Popp auf einer Wahlkampftour. Dabei fängt er den Augenblick ein, in dem Popp mit verzerrter Miene ein Bierfass anschlägt. Das Foto, erkennt Becker, demaskiert den Populisten, es zeigt "das Gesicht eines Totschlägers, Hass im Hochformat". Aber die Redaktion des Nachrichtenmagazins, für das der Fotograf arbeitet, will das Bild nicht drucken. Aus Trotz und Gekränktheit schickt Becker die Aufnahme an Popp. Der macht sie zum Motiv einer Plakatkampagne, die seiner Partei den überraschenden Wahlsieg bringt.
Der Roman leuchtet August Beckers Handeln aus verschiedenen Blickwinkeln aus. Der Fotograf, der seine Berufswahl gegen den Vater durchgesetzt und seinen Großvater als "Scheißnazi" beschimpft hat, hegt für Popps Heimatrhetorik und Ausländerhetze keine Sympathie. Aber er leidet unter dem Bedeutungsverlust der Reportagefotografie im Zeitalter der Smartphones, was ihn für die Schmeicheleien des Populisten empfänglich macht. Außerdem will er seiner Freundin Marion imponieren, die in der rechtslastigen Boulevardzeitung "Total" eine Kolumne schreibt. Seine Loyalität zu Selma, einer Enthüllungsjournalistin, die er bei ihrer Popp-Recherche begleitet, lässt dagegen nach, seit ihn Selmas Lebensgefährte, ein Künstler, als Figur ohne Unterleib gemalt hat. Und schließlich muss August das Geld für das Studium seines Sohnes aufbringen. Die Summe, die ihm Popp für ein Becker-Foto angeboten hat, löst das Problem auf einen Schlag. Und macht den Fotografen zum Zulieferer seines Feindes.
Dass "Die Einstellung" eine Parabel ist, eine Mustergeschichte mit einer Modellkonstellation, ist dem Roman ins Gesicht geschrieben. Der Maler, der August symbolisch kastriert, heißt Dino Ahmetovic, ein jüdischstämmiger Schriftsteller, der für den Fotografen auf Instagram in die Bresche springt, Avi Weiss, und ein zwielichtiger PR-Berater, der für die Regierung wie für private Dunkelmänner arbeitet, Flo Maus. Ein zwielichtiger Investor, mit dem Ulli Popp lieber nicht gesehen werden will, nennt sich Jo Gromow, und die Kleinstadt, in der Popps Wahlkampf beginnt, trägt den Namen Oberfeist.
Dieser Hang zum Überdeutlichen schließt nicht aus, dass der Autor, wenn er will, subtil sein kann. Der "Total"-Chefredakteur wird als "Evangelist des Groben" vorgestellt, der sich "die Freiheit zur Niedertracht" nimmt. Man könnte Rabinovici entsprechend als Salonmaler der neuen politischen Unübersichtlichkeit bezeichnen. Die Freiheiten, die er sich gestattet, sind vor allem sprachlicher Art: Der Satz "Das Abendlicht färbte den Gelben Muskateller in ihren Gläsern dunkler" dürfte selbst in einem Boulevardblatt gestrichen werden, die Bemerkung über eine Journalistin, "die nicht nur durch ihre scharfen Fragen aufzufallen wusste", würde man in einem Männermagazin vermuten.
Am bittersten vermisst man in "Die Einstellung" jenes Moment des Diskursiven, das der Titel verspricht. In Rohmers moralischen Filmerzählungen reflektieren die Personen ausgiebig ihre Motive, ganz gleich, ob sie einem Mädchen unter den Rock gucken oder Männerbekanntschaften sammeln. Bei Rabinovici aber sagt jede Figur nur auf, was man sowieso von ihr erwartet, mit Ausnahme von August Becker, der so rücksichtslos von den Wendungen des Plots getrieben wird, dass er nicht zu einem eigenen Standpunkt findet. Dabei ist es weder die Moral seiner Fotografien, die ins Zwielicht rückt, noch die Amoral seines Gegenspielers Ulli Popp, sondern die ästhetische Moral des Autors, der mit dem Pinsel der Kolportage die Gegenwart porträtieren will. Doch die Wahrheit, die er sucht, verschwindet im Plakativen. Trivialität im Breitformat.
Doron Rabinovici: "Die Einstellung". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 224 S., geb., 24,- Euro.
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