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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Der Kapitalismus hat die Kreativität in den Alltag entlassen. Kreative Dissidenz ist jetzt erwünscht, solange es den Betriebsablauf nicht stört. Aber das Schöpferische wird auch eingefordert. Insofern sie der Kritik an der entfremdeten Arbeitswelt die Spitze nimmt, wirkt die universalisierte Kreativität stabilisierend. Das war nicht im Sinn der Künstler: Mit der Ausweitung des Kunstbegriffs und der Emphase des Neuen ebneten Avantgarde und Gegenkultur eher unfreiwillig den Weg. Andreas Reckwitz folgt in seiner luziden Monographie nicht der bekannten These, nach der die Künstlerwerte von der Managementtheorie absorbiert wurden und heute primär der Motivation ausgebeuteter Projektarbeiter dienen. Nach dem Motto: Du verdienst hier zwar nichts und bekommst auch keinen festen Vertrag, darfst aber als nonkonformistischer Kreativarbeiter gerade darauf noch stolz sein. Immun gegenüber jeder Zuspitzung, sieht Reckwitz das Kreativprinzip auf mehreren Wegen diffundieren: über die Psychologie, das mediale Starsystem, die Kreativwirtschaft und die Gegenkultur. Das Kreative verliert auf diesem Weg seine Radikalität. War die Kreativität des Künstlers noch gegen die standardisierte Arbeitswelt gerichtet, so steht sie heute in ihren Diensten: als ästhetische Motivationshilfe einer rationalen Moderne, die von keiner Utopie mehr vorangetrieben wird. Reckwitz hat gegen mehr Kreativität im Alltag nichts einzuwenden, ist aber auch sensibel für die Pervertierungen, die bei der Institutionalisierung des Ephemeren entstehen. Kreativität im Dauermodus führt zu Ermüdung und Überdehnung. Das Neue wäre da, einmal nicht kreativ zu sein. (Andreas Reckwitz: "Die Erfindung der Kreativität". Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 408 S., br., 16,- [Euro].)
thom
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