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Revolutionärin aus gutem Hause: Dirk Kurbjuweits Roman über das turbulente Leben der Emma Herwegh
"Aus Ihnen wollte ich ein herrliches, begeisterndes Buch machen, und ich wollte den Leser sehen, der es wagte, nicht für Sie zu schwärmen", schrieb Ludmilla Assing 1862 an Emma Herwegh. "Ihr Charakter, Ihre Energie, Ihre Güte; daneben einer unser edelsten deutschen Dichter, Dichter und Freiheitsheld zugleich, die badische Revolution, Italien, Orsini, der gewaltige, kühne Mann, o das sollte ein Buch werden, das ich mit Leidenschaft schriebe." Assing, Herausgeberin von Humboldts Briefen und Varnhagen von Enses Tagebüchern, hat das Buch nie geschrieben, wohl aber der "Spiegel"-Redakteur Dirk Kurbjuweit. Herrlich ist es vielleicht nicht, eher eine nüchterne, halbgare Mischung aus historischem Roman, Biographie und Magazin-Titelstory, aber das liegt natürlich an der historischen Distanz. Begeisterte Heldenverehrung ist aus der Mode geraten und der Name Herwegh heute weithin unbekannt.
Vor 170 Jahren war Georg Herwegh, Heines "Eiserne Lerche", der Popstar unter den Vormärz-Dichtern, gefeiert, geliebt und verfolgt für seine schwungvollen "Gedichte eines Lebendigen": "Wir haben lang genug geliebt / und wollen endlich hassen". Die demokratischen Jungfrauen lechzten nach seinen Haarlocken, die Studenten brachten ihm Fackelzüge aus, Marx wollte eine WG mit ihm gründen, Bakunin war sein Trauzeuge. Nach 1848 kam nicht mehr viel: Exil, Armut, Affären, nach wie vor unbeugsame, aber immer schwächer werdende Tendenzpoesie: "Alle Räder stehen still / wenn dein starker Arm es will", "Germania, mir graut vor dir" und solche Sachen. Emma Herwegh galt zu Lebzeiten, eigentlich bis vor kurzem nur als die Frau an seiner Seite. Dabei war sie viel mehr: schön, klug, reich (ihr Vater war Seidenwarenhändler und Hoflieferant in Berlin), kämpferisch, künstlerisch vielfach begabt, emanzipiert. Emma trug Hosen und rauchte Zigarren wie George Sand, sie konnte schießen und reiten wie der Teufel, politisch diskutieren und leidenschaftlich lieben. Mit zwei Pistolen am Gürtel und einer kecken Feder am Hut zog sie in die Badische Revolution. Emma war Revolutionärin durch und durch, ganz im Gegensatz zu ihrem Georg, der sich 1842 bei der Audienz beim König blamierte, 1848 als Maulheld erwies und danach als erbärmlicher, larmoyanter Frauenheld.
Emma war stärker, mutiger, anständiger als ihr Mann, aber sie ordnete sich dem Genie und der Sache der Freiheit unter. Als die Deutsche Legion, eine Brigade von Intellektuellen und Sensenmännern aus Paris, im April 1848 unter Herweghs Führung in Straßburg tatenlos auf die Vereinigung mit Heckers Truppen wartete, war es Emma, die sich als Kundschafterin durch die feindlichen Linien schlug und Kontakt aufnahm. Als die Legionäre, schwer aufs Haupt geschlagen, in alle Richtungen zerstoben, rettete sie ihrem Georg den Kopf. Als die reaktionäre Presse und der Spötter Heine sich über den Freiheitshelden unter dem Pantoffel lustig machten, hielt sie ihm die Treue. Emma fiel nicht einmal von ihm ab, als er sich in einer spektakulären Affäre mit Alexander Herzens schöner Frau Natalie zum Gespött von halb Europa machte.
Der "Karneval der freien Liebe" fand zweimal statt, einmal als Farce, dann als Tragödie. Emma wollte ihren Mann zum revolutionären Jagen tragen, und da mussten persönliche Empfindlichkeiten zurückstehen. Für die Männer war sexuelle Beinfreiheit selbstverständlich notwendig, für sie als Frau Schmerz und Demütigung. "Es ist ihre Pflicht, Georg entweder von dieser Liebe zu heilen oder glücklich zu machen", schrieb Emma an ihre Rivalin Natalie; die Briefe überbrachte sie eigenhändig. Kein Wunder, dass Herzen sie als "Sklavin", wenn nicht Zuhälterin ihres Mannes beschimpfte. Eifersucht war kleinbürgerlich und schäbig, aber das "harmonische Zusammenleben freier Menschen" funktionierte nicht wie in Fouriers Phalange-Theorie. "Nur über die Liebe konnte man sich emanzipieren", lässt Kurbjuweit die alte Emma sagen, "und jetzt ist es nicht viel anders. Ich konnte politisch wirken, weil ich einen politischen Mann hatte und später einen politischen Geliebten. Anders ging es nicht." Kurbjuweit lässt offen, ob Emmas Bewunderung für Felice Orsini, den gutaussehenden anarchistischen Verschwörer und Bombenwerfer, mehr als romantische Schwärmerei war. Sicher ist jedenfalls, dass Emma Herwegh als liebende und hassende Mutter Courage der '48er mehr hermacht als Georg, der Mann an ihrer Seite.
Kurbjuweit erzählt das bewegte Leben von Herweghs Muse, Lektorin und Nachlassverwalterin aus ihrer Sicht, nicht chronologisch, aber nah an den Tatsachen entlang. Alles beginnt 1842 wie im Schicksalsroman: Der höheren Tochter erscheint Herwegh als der strahlende Held, auf den sie so lange gewartet und für den sie sich aufgespart hat. Der Feldzug von 1848 und die gescheiterte Revolution schweißen das Paar zusammen, aber Georgs Affären mit der Comtesse Marie d'Agoult und Natalie stellen Emmas bedingungslose Liebe auf eine harte Probe. Für diesen letzten Abschnitt tritt Emma aus der historischen Versenkung heraus in die Rolle der Ich-Erzählerin: Verarmt, aber politisch ungebrochen und scharfzüngiger denn je dröselt die kokette Alte 1894 ihrem jungen Freund Frank Wedekind noch einmal die Herzen-Affäre bis in ihre albernsten Verwicklungen, Schreikrämpfe und Duellforderungen auf. Ihr Stolz, ihre Diskretion, ihre Nachsicht und ihr Humor imponieren selbst dem jungen "Lulu"-Wüstling. Wedekind lässt sich mit Datteln, Gürkchen und Erinnerungen füttern, später wird er sich für die Wohltaten seiner mütterlichen Freundin revanchieren.
Trotzdem kann man nicht von einer Kontinuität zwischen 1848, früher Sozialdemokratie und dem Frühlingserwachen der Moderne sprechen. Formal ist "Die Freiheit der Emma Herwegh" nämlich eher schlicht und betulich als revolutionär. Einen romantischen Schicksalsroman à la "Die Tochter des Seidenhändlers" hat Emma nicht verdient, aber vielleicht eine Biographie, die sich ihre Zeitgemäßheit nicht durch Datteln, Spermaflecken auf dem Hecker-Brief und möglicherweise ausgehängte Klotüren in der Pariser Kommune 1 versichern muss. Man fragt sich, warum Kurbjuweit einen Roman geschrieben hat, der historisch und menschlich einfühlsam ist, aber letztlich weder Fisch noch Fleisch.
MARTIN HALTER.
Dirk Kurbjuweit: "Die Freiheit der Emma Herwegh." Roman.
Hanser Verlag, München 2017. 336 S., geb., 23,- [Euro].
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