Die Hände der Frauen in Jegana Dschabbarowas Familie waren nicht zum Schreiben bestimmt, sondern zum Arbeiten, Kochen, Nähen, Sticken und Kinder-Wiegen. Und doch, sie schreibt schon seit ihrer Kindheit und hat mit diesem autofiktionalen Roman ihr Debüt veröffentlicht, im Original auf Russisch, hier
ins Deutsche übersetzt von Maria Rajer.
Die Kapitel sind jeweils nach Körperteilen benannt, so…mehrDie Hände der Frauen in Jegana Dschabbarowas Familie waren nicht zum Schreiben bestimmt, sondern zum Arbeiten, Kochen, Nähen, Sticken und Kinder-Wiegen. Und doch, sie schreibt schon seit ihrer Kindheit und hat mit diesem autofiktionalen Roman ihr Debüt veröffentlicht, im Original auf Russisch, hier ins Deutsche übersetzt von Maria Rajer.
Die Kapitel sind jeweils nach Körperteilen benannt, so geht es beispielsweise um die Bäuche von Frauen und um das Schwanger-Werden und Gebären. Um die Münder, die bei den aserbaidschanischen Frauen in der Familie der Autorin nicht viel sprechen sollen und niemals einem Mann widersprechen: "Für eine Frau gehört es sich nicht zu sprechen, für eine Frau gehört es sich nicht zu widersprechen, eine Frau darf nie vergessen, dass sie Objekt, nicht Subjekt eines Satzes ist, doch das Wichtigste, das uns seine Fäuste lehrten, war zu schweigen, unsere Hoffnungen und Träume für uns zu behalten, unsere schrecklichen Geheimnisse niemals jemandem anzuvertrauen." (S. 29)
Um die Augenbrauen, durch die sich verheiratete von "unschuldigen", ledigen Frauen unterscheiden: nur erstere haben das Privileg, sie sich zupfen zu dürfen. Um die Schultern, die so viel tragen müssen: harte Arbeit, aber auch das Fremd-Sein, beschimpft und mit dem Leben bedroht werden als sichtbar nicht-russisch aussehende Menschen in Russland: "... ich weiß nur noch, wie meine Schultern von dem schweren Rucksack wehtaten, wie er gegen meinen unteren Rücken knallte, wie ich nach Luft rang, was für eine Angst ich hatte. Damals spürte ich die Todesnähe zum ersten Mal mit meiner Haut, eine echte animalische Gefahr, damals verstand ich, dass fremd sein heißt, gehasst zu werden, ein Gefäß für Jähzorn zu sein." (S. 52)
Das Buch folgt keinem strikten Spannungsbogen, stattdessen nähert es sich in einzelnen Erzählepisoden, die eben jeweils von einem Körperteil inspiriert sind, drei großen Themen an: dem Verhältnis zwischen Männern und Frauen in der aserbaidschanischen Familie der Autorin, der damit einhergehenden Unterdrückung der Frauen und dem engen Korsett an gesellschaftlicher Kontrolle und Verhaltensregeln, um die Ehre zu bewahren. Dem Aserbaidschanisch-Sein und als fremd wahrgenommen werden, während man in Russland lebt und sich bemüht, sich sprachlich und kulturell an die russische Gesellschaft anzupassen und gleichzeitig die eigenen kulturellen Wurzeln zu bewahren. Und einer degenerativen Muskelerkrankung, die dazu führt, dass die Ich-Erzählerin immer mehr die Kontrolle über ihren eigenen Körper verliert... aber gleichzeitig auf einer anderen Ebene an Freiheit dazu gewinnt, weil von ihr dadurch weniger erwartet wird, zu heiraten und Kinder zu kriegen.
Es ist ein interessant und gut geschriebenes Buch über eine fremde Kultur, die vielen Leserinnen und Lesern im deutschsprachigen Raum nur wenig bekannt sein dürfte. Ich habe beim Lesen viele wertvolle Einblicke gewonnen, ein bisschen haben mir allerdings ein roter Faden und eine noch tiefergreifende Figurencharakterisierung und -entwicklung abseits der ganz persönlichen Eindrücke gefehlt.