Die Tochter von niemandem: Intensiver, berührender Debütroman
"Man erinnert sich nicht an den Moment seiner Geburt."
Maria erfährt erst mit Ende zwanzig, dass ihre Eltern nicht ihre leiblichen sind. Sie wurde adoptiert. Diese Nachricht zieht ihr den Boden unter den Füßen weg.
"Ihre Lüge
endet hier. Auf der Türschwelle dieses Bürogebäudes, dessen Böden sie scheuert. Hier, wo mein Vater,…mehrDie Tochter von niemandem: Intensiver, berührender Debütroman
"Man erinnert sich nicht an den Moment seiner Geburt."
Maria erfährt erst mit Ende zwanzig, dass ihre Eltern nicht ihre leiblichen sind. Sie wurde adoptiert. Diese Nachricht zieht ihr den Boden unter den Füßen weg.
"Ihre Lüge endet hier. Auf der Türschwelle dieses Bürogebäudes, dessen Böden sie scheuert. Hier, wo mein Vater, arbeitslos und in Stein verwandelt, mit den Füßen das Linoleum vor seinem Sessel abwetzt, weil er nicht mehr aufsteht, nichts mehr tut, nichts mehr sagt.
Ich bin bei dieser Offenbarung als Einzige zugegen. Meine Mutter wird richtig liegen, ich lasse sie allein, ich habe nichts mehr zu sagen. Ihr Geständnis hat mich zerbrochen. Hier steht sie vor mir, die Arme fest über ihrer flusigen Strickjacke verschränkt und mit ihren rissigen Händen umklammert. Ohne es zu wissen, habe ich sie soeben befreit.
Ich bin siebenundzwanzig, und an diesem Tag bin ich zum ersten Mal gestorben."
Maria macht sich verzweifelt auf die Suche nach ihren Wurzeln. Sie möchte wissen, woher sie wirklich kommt und wer ihre leiblichen Eltern sind. Sie ist völlig vereinnahmt von dieser Suche, kann den Alltag kaum noch bewältigen.
"Vor anderen reihte ich Sätze, Banalitäten und Alltagsgesten aneinander, doch innerlich wankte ich. Weiterzumachen, ohne zu wissen, mit welchem Ziel, mein innerer Kompass kaputt, himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt."
Auf zwei Ebenen erzählt die Autorin: Da sind zum einen Marias Erinnerungen an ihre Kindheit in Paris mit einem trinkenden Vater, mit vielen Entbehrungen.
Auf der anderen Seite erfährt man die Geschichte ihrer Adoptiveltern Victoria und Julián, die sich in Spanien kennenlernten und verliebten, gemeinsam nach Frankreich auswanderten und genauso verzweifelt wie vergeblich versuchen, ein Kind zu bekommen.
"Enttäuschung rann ihr zwischen den Beinen herunter. Scharlachrot über ihre zarte, so weiße Haut."
Marias lange Suche dauert viele Jahre, ihre Reise führt sie schließlich von Paris bis nach Bilbao.
Das Wiedersehen mit der leiblichen Mutter nach sehr langer und obsessiver Suche ist gleichermaßn befreiend wie schmerzhaft.
"Sie korrigiert sich, nur ein Scherz. Aber der Hieb hat gesessen, der Pfahl hat sich mir in die Seele gerammt. Ich habe dich leben lassen. Noch eine Schuld, und keine geringe. Aber theoretisch hat sie recht."
Doch auch ihre Gefühle für ihre Adoptiveltern muss Maria aufarbeiten:
"Und ich schämte mich, dass ich so wütend auf meine Mutter war.
Letztendlich hatte sie mir das Leben gerettet. Reiß dich mal zusammen: sie ist deine Mutter, ob es dir gefällt oder nicht, sie hat dich großgezogen. Danke schön, Madame. Aber die Wut kam zurück, und mit ihr die Fragen. Wie lange wird es mir noch so schlecht gehen? Schlecht, weil ich weggeworfen wurde, verlassen, gerettet, geliebt, verwöhnt, fotografiert, abgewischt, gefüttert, untergebracht, passend gemacht wurde? Mein Leid war nutzlos, es kam mir lächerlich vor."
und findet am Ende ihren Frieden sowie versöhnliche Töne:
"Ich will Julián und Victoria beschützen, es soll nicht vorschnell über ihre Versäumnisse, ihre Ungeschicktheit und ihre Armut beurteilt werden, ich habe nur ihre Liebe von ihnen geerbt."
„Die Kinder von Bilbao“ von Maria Larrea ist ein Debütroman, der mich sehr begeistert hat, sowohl inhaltlich als auch literarisch. Die Sprache der Autorin ist etwas ganz Besonderes; man bemerkt wohl ihren filmischen Hintergrund, aber wow - sie kann auch großartig schreiben!
"Ich werde sein, was ich werden will. Ich werde einem Roman entspringen und zudem werden, was ich schreibe. Ich werde schreiben, was ich war."
„Die Kinder von Bilbao“ ist ein sehr intensiver und berührender Roman über Familie, soziale Herkunft und Identität, der sicher noch lange in mir nachhallen wird.
Eine ganz klare Leseempfehlung von mir!