Herausfordernd
Welch ein provokanter und herausfordernder Text. Er hat mich nachhaltig beschäftigt und sehr beeindruckt, durchaus auch zu tief beeindruckt und war schwer verdaulich.
Hannah, eine junge Eritreerin, flüchtet nach Großbritannien. In Eritrea und auch auf der Flucht wurde sie
vergewaltigt. In London wird sie als unbegleite Minderjähriger in einer Pflegestelle bei Diana…mehrHerausfordernd
Welch ein provokanter und herausfordernder Text. Er hat mich nachhaltig beschäftigt und sehr beeindruckt, durchaus auch zu tief beeindruckt und war schwer verdaulich.
Hannah, eine junge Eritreerin, flüchtet nach Großbritannien. In Eritrea und auch auf der Flucht wurde sie vergewaltigt. In London wird sie als unbegleite Minderjähriger in einer Pflegestelle bei Diana untergebracht. Diese ist selbst eher unglücklich mit ihrem Leben. Hannah wartet auf den Asylbescheid. Sie versucht sich einzuleben, kann aber aufgrund der Gesetze nicht viel machen. Sie stößt wiederholt auf Rassismus. Sie versucht am Leben zu bleiben - nur das Begehren und die Lust halten sie am Leben. Sie verliebt sich.
Ihre spezielle Formen der Lust ist allgegenwärtig und nimmt sehr viel Raum ein. Sicherlich auch als Bewältigungsversuch ihrer traumatischen Erlebnisse zu verstehen. "Es muss weh tun, um all den Schmerz zu ertränken." Zudem setzt sie sich mit dem Tagebuch ihrer früh verstorbenen Mutter auseinander. Hier werden Parallelen deutlich,was ich letztlich als Versuch des eines feministischen Aufbegehrens verstehe.
Eine Bewertung fällt mir schwer. Ich kann von einem bis fünf Sterne alles vergeben:
1 Stern dafür, dass ich Dinge überflogen habe und überlegt habe, abzubrechen. Viele Geschehnisse und Beschreibungen irritierten mich und stießen mich sehr ab.
2 Sterne dafür, dass ich mich manchmal gelangweilt habe, da es zuviel desselben war und mir die Story zu wild wurde. Es nervte mich zudem, dass alles irgendwie mit Sex und verschiedenen Praktiken verbunden wurde. Ich habe einige Ideen dazu, wie man es verstehen kann, aber es war mir insgesamt zu viel und manchmal auch zu heftig.
3 Sterne dafür, dass der Autor ein Mann ist und ich mich fragte, ob es überhaupt okay ist, solch ein Buch aus der Ich-Perspektive einer jungen Frau zu schreiben. Anfangs dachte ich, es sei eine Autorin. Mein Mitgefühl mit der Protagonistin war dadurch sehr groß, fast schon quälend schmerzhaft und herzzerbrechend. Bald bemerkte ich aber, dass dieser Text nicht von einer Frau sein könne und begriff dann endlich, dass der Autor ein Mann war. Dadurch konnte ich mich besser vom Text distanzieren, und etwas Atem holen, fühlte mich aber auch etwas provoziert.
4 Sterne für den schrägen, ungewöhnlichen und eigenwilligen Text, der ohne Absätze, im Stil eines stream of consciousness geschrieben wurde. Dadurch ist man sehr dicht am Erleben der Hauptfigur dran. Nicht immer ist hierbei klar, ob Ereignisse tatsächlich oder eher metaphorisch geschehen.
5 Sterne für die eindrückliche Darstellung des Lebens als Geflüchtete, die sich einfinden muss und um ihre Identität ringt. Die Schilderungen der politischen und gesellschaftlichen Situation in Eritrea fand ich sehr interessant. Die Darstellung der der Warterei und der Verdammung zum Nichtstun in London fand ich sehr authentisch und beleuchtet das Asylsystem durchaus kritisch.
Der Text zwang mich inhaltlich zur Auseinandersetzung und wird mir nachhaltig im Gedächtnis bleiben. Auch strukturell zwang mich der Text zur Auseinandersetzung: was kann Literatur leisten, was soll sie leisten? Zudem hat der Autor meinen tiefen Respekt, da er im Nachgang seine literarischen Anleihen und entnommenen Gedichte als Quellen darlegt.
Fazit: Eindrücklich, tragisch, berührend, provokant, verstörend, interpretierbar. Nicht für jede*n geeignet.
Triggerwarnung: sexueller Mißbrauch, sexuelle Spielarten, Suizid, Gewalt