Sarah Hall, geboren 1974 in Carlisle, Nordengland, ist eine bedeutende zeitgenössische britische Autorin. Sie ist für ihre kraftvolle, poetische Sprache und ihre schonungslose Gesellschaftskritik bekannt. Die Töchter des Nordens (The Carhullan Army, 2007) wurde vielfach ausgezeichnet und gilt
inzwischen als moderner Klassiker feministischer Dystopien.
Der Roman spielt in einer nahen Zukunft, in…mehrSarah Hall, geboren 1974 in Carlisle, Nordengland, ist eine bedeutende zeitgenössische britische Autorin. Sie ist für ihre kraftvolle, poetische Sprache und ihre schonungslose Gesellschaftskritik bekannt. Die Töchter des Nordens (The Carhullan Army, 2007) wurde vielfach ausgezeichnet und gilt inzwischen als moderner Klassiker feministischer Dystopien.
Der Roman spielt in einer nahen Zukunft, in der die britische Insel nach dramatischen klimatischen Veränderungen in eine autoritäre Ordnung zurückgefallen ist. Demokratie, individuelle Freiheit und Privatsphäre existieren kaum mehr: Lebensmittel und Strom werden streng rationiert, Frauen wird zwangsweise die Spirale eingesetzt, und in den Gemeinschaftsunterkünften herrscht Überwachung und Enge. In dieser düsteren Welt flieht die Ich-Erzählerin – eine namenlose Frau – aus der Stadt und schließt sich den Töchtern des Nordens an, einer Gruppe von Rebellinnen, die in den Bergen eine selbstverwaltete Kommune aufgebaut haben.
Was mich als Leserin besonders beeindruckt hat, ist die beklemmende Glaubwürdigkeit dieser Zukunftsvision. Sarah Hall entwirft kein überzogenes Science-Fiction-Szenario, sondern eine bedrückend plausible Fortsetzung unserer Gegenwart: eine Welt, in der ökologische Katastrophen und staatliche Kontrolle Hand in Hand gehen. Ihre Sprache ist präzise, zugleich roh und lyrisch – eine seltene Kombination, die den Text sowohl poetisch als auch unmittelbar erfahrbar macht.
Die Erzählung in Form von Protokollen – Aussagen einer Gefangenen – verleiht der Geschichte eine besondere Intensität, auch wenn sie zugleich etwas Spannung nimmt. Als Leserin weiß man durch diese Erzählperspektive von Anfang an, dass die Rebellion kein glückliches Ende nehmen wird. Trotzdem bleibt der Text fesselnd, weil er weniger auf den Ausgang als auf die innere Entwicklung der Erzählerin zielt: vom nach außen hin angepassten Mitglied einer autoritären Gesellschaft zur kämpfenden, denkenden Frau.
Die derbe, oft obszöne Sprache der Rebellinnen wirkt authentisch und verleiht der Gemeinschaft eine kraftvolle Präsenz. Gleichzeitig schleicht sich hier ein kleiner Bruch ein: Dass diese fast amazonengleich gestählten Frauen in ihren Häusern auf heimelige Dekoration achten, bedient ein Klischee, auf das ich gut hätte verzichten können. Ebenso geraten die wenigen Männer, die außerhalb der Farm in Hütten leben dürfen, etwas schablonenhaft – sie bleiben Randfiguren ohne Tiefe.
Dennoch hat mich Die Töchter des Nordens tief beeindruckt. Der Roman ist düster, spannend und zugleich von einer eigentümlichen Zärtlichkeit durchzogen – gerade in der Beschreibung weiblicher Solidarität, Verletzlichkeit und Stärke. Ich habe mich unmittelbar in diese fiktive Welt hineingezogen gefühlt. Vielleicht, weil diese Zukunft, so erschreckend sie auch ist, nicht allzu fern und durdaus möglich scheint.
Fazit:
Ein kraftvoller, sprachlich gelungener Roman über Freiheit, Körper, Macht und Widerstand. Die Töchter des Nordens ist kein leichtes Buch, aber eines, das warnt – wie ein Ruf aus einer Zukunft, die wir besser verhindern sollten.