„Es gibt wenig menschlichere Regungen als die Traurigkeit der Trauer, doch sie zuzulassen, sie zu akzeptieren und sie zum Ausdruck zu bringen, erforderte an jenem Tag mehr Mut, als ich aufbringen konnte.“ S. 83
Im Gespräch, dem ich am Sonntag in Hamburg mit Daniel Schreiber lauschen durfte, sucht
er auf die Frage, ob man Trauer trainieren könne wie einen Muskel nach einem anderen Bild. Er fühle…mehr„Es gibt wenig menschlichere Regungen als die Traurigkeit der Trauer, doch sie zuzulassen, sie zu akzeptieren und sie zum Ausdruck zu bringen, erforderte an jenem Tag mehr Mut, als ich aufbringen konnte.“ S. 83
Im Gespräch, dem ich am Sonntag in Hamburg mit Daniel Schreiber lauschen durfte, sucht er auf die Frage, ob man Trauer trainieren könne wie einen Muskel nach einem anderen Bild. Er fühle da keinen Muskel, sondern er sähe unseren Körper als ein dehnbares Gefäß, das sich im Laufe des Lebens mit immer mehr Verlusten füllen und wachsen würde. Wie gern versuchen wir Trauer auszublenden, uns abzulenken, auszuweichen, so schnell wie möglich wieder zum Alltag überzugehen.
Doch Trauer ist nichts, das man irgendwann, nach Wochen, Monaten oder einem Jahr abschließen kann. Trauer wird uns immer wieder ergreifen. Jeder neue Verlust, sei es der eines geliebten Menschen – wie in seinem Fall der des Vaters -, eines Lebenstraums oder eines kollektiven Gutes, bringt uns wieder in Verbindung mit der Summe unserer Verluste. Bestenfalls lernen wir das zu akzeptieren.
„Trauer ist immer eine Erfahrung von Endgültigkeit. Vielleicht liegt darin neben dem Schmerz auch eine merkwürde Form von Trost: mit Tod und Vergänglichkeit lässt sich nicht verhandeln.“ S. 32
Daniel Schreiber wählt für seine Betrachtung die Form des Persönlichen Essays. Er verbindet autobiografische Erfahrungen und einen Tag im nebelverhangenen Venedig fließend mit wissenschaftlichen, philosophischen, psychologischen Erkenntnissen und Gedanken über Kunst und Malerei und schafft einen Resonanzkörper, der unweigerlich eigene Erinnerungen zum Schwingen bringt, eigenes Reflektieren in Gang setzt und einen Bogen schlägt zum kollektiven Umgang mit Verlusten von Sicherheiten und Gewissheiten.
Wir begleiten ihn auf einem Streifzug durch Venedig, durch die schon seit Jahrhunderten totgesagte Stadt, die es doch schafft, sich immer wieder zu erneuern, deren morsche Pfähle immer wieder ausgetauscht werden, die immer neue Wege findet, dem Untergang zu trotzen. Wir mäandern mit ihm über Brücken, Kanäle, durch Museen, über den alten evangelischen Friedhof, durch die Werke von Freud, Derrida, Didion, Barthes und vieler anderer, genießen die kulinarischen und kulturellen Köstlichkeiten der Stadt und bekommen der Trauer auch immer wieder Freude und Hoffnung entgegengesetzt.
„Ich kann nicht glauben, wie schön, wie unglaubliche schön diese Welt, in der wir leben, sein kann, und wünsche mir, wenigstens die Fähigkeit, das zu sehen, nie zu verlieren.“ S. 42
Ich könnte Daniel Schreiber ewig zuhören, sowohl seinem geschriebenen als auch seinem gesprochenen Wort. Wie er da mit einer wahnsinnig feinfühligen Präsenz auf der Bühne sitzt, mit seiner sanften Stimme, überlegte kluge und immer stimmige Worte aus sich herauswringt, ist es undenkbar, Autor und Werk zu trennen. Er verkörpert, was er schreibt, und schreibt, was er verkörpert, und bleibt gleichzeitig auf einer analytischen Metaebene. Seine Worte berühren und schwingen nach. Die Seiten meines Buches kleben voller Zettel, viele Zeilen tragen Unterstreichungen.
Ich könnte nicht anders enden als mit den Worten von Fatma Aydemir: „Wer ein Buch von Daniel Schreiber liest, blickt danach anders aufs eigene Leben.“
In wenigen Tagen wird übrigens auch das von ihm eingesprochene Hörbuch erscheinen, ich empfehle von Herzen ihm zuzuhören.