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Alexander Gorkows gesammelte Gespräche
Von Oliver Jungen
Ein Gespräch ist ein Dialog, kein Monolog": simpel, aber wahr. Einer der besten Gesprächsreporter seiner Zeit, Truman Capote, erklärte so, warum, zumal im Journalismus, selten gute Gespräche zustande kommen. Besonders die abgeluderte Gattung Interview ist allzu oft ein Dialogverhinderungsunternehmen, zumal, wenn beide Seiten einfach ihr Programm abspielen. Wozu dieses Genre aber fähig ist, führt uns seit Jahren Alexander Gorkow vor, Leiter der "SZ am Wochenende" und einer der besten Gesprächsreporter unserer Zeit. Seine fulminantesten Künstler-Interviews sind jetzt als Buch erschienen.
Gorkows Methode ist begründeter Enthusiasmus. Er wirft sich den Gesprächspartnern mit Anlauf in die Arme. Noch im Flug stellt er die erste Frage, die meist derart liebenswert klug und auf Augenhöhe formuliert ist, dass die sonst in blickdichten PR-Kokons steckenden Prominenten ihn instinktiv auffangen, weil sie in Sekundenbruchteilen begreifen, dass ihnen hier jemand die Chance bietet, aus dem endlosen Monolog auszubrechen.
Capote, der sich um den Konsens nicht scherte, hielt Mick Jagger für ähnlich sexy wie eine pinkelnde Kröte: keine ideale Dialoggrundlage. Gorkow dagegen ruft dem Bühnenkönig enthusiastisch zu: Sieh mal, wie fein ich mich für dich gemacht habe, du Modeungeheuer. Den Rockvater erinnert er, das ist Standardnettigkeit, an den Bluesmusiker Memphis Slim. Gorkow aber gibt schlagfertig zurück: "War der nicht ganz leicht untersetzt?" Jagger stellt (schief) richtig: "Er war großartig" - und hat bereits Geschmack gefunden an seinem Gegenüber. Mehrfach fragt er nun rhetorisch zurück: "Was glauben Sie denn?" Und jedes Mal hat Gorkow, das macht seine Klasse aus, eine überraschend gute Antwort parat. So dringt er selbst zu Menschen durch, deren Egos groß wie Flugzeugträger sind.
Bruce Willis bügelt die Eingangsfrage zum "Die Hard"-Polizisten McClane routiniert ab mit der Gegenfrage: "Was ist das für ein Typ für Sie?" Er hat nicht mit Gorkows Detailkenntnis gerechnet, der ihm nun die konservativen Eigenschaften McClanes vorbetet und damit schließt, der gute Mann sei etwas aus der Zeit gefallen. Willis ist erstaunt. "Er hat keine Ahnung von Computern, er dreht bei einem Song von ,Creedence Clearwater Revival' das Radio lauter, solche Sachen, er ist ein bisschen: lustiger weißer Durchschnitt. Nicht wahr?" Willis ist beeindruckt: "Hm, wow . . . okay." Zwei Antworten weiter scheint er fast überzeugt, dass McClane ein Clown ist, ein Gedanke, der ihm noch nie kam. Das Gespräch wird selbstverständlich großartig und die vereinbarte Zeit weit überschritten, so wenig Gorkow einen Hehl daraus macht, in der Irak-Krieg-Frage sehr weit von Willis entfernt zu sein.
Auch gegenüber dem Sternenkrieger George Lucas lässt er beim Thema Irak nicht locker, bis der sich schließlich zu den Demokraten bekennt. Udo Jürgens verleitet der studierte Germanist zur Eitelkeit. Er möge doch damit herausrücken, ob ein nicht ganz unbekannter Landsmann, den der Sänger einmal beim Bratwurstessen traf ("Gegenüber sitzt der Thomas Bernhard und isst auch eine Wurst"), seine Lieder kannte. "Das sage ich nicht", wehrt Jürgens ab, "nein, nein, das wäre eitel", um schließlich zu verraten, der Holzfäller vom Heldenplatz sei bei einigen Liedern "recht textsicher" gewesen. So souverän wie taktvoll von Gorkow, augenblicklich das Thema zu wechseln.
Ein eigenes Kapitel sind die Frauen, die den charmanten großen Kahlkopf sofort ins Herz schließen: Bette Midler, Helen Mirren oder Jeanne Moreau. Fast immer dreht sich der Gesprächsablauf, befragen ihn die Befragten. Das "sinnloseste Interview, das ich je geführt habe", nennt Gorkow jenes mit Lou Reed, der sich in der Tat so umgänglich gibt wie ein Wüstenkaktus: einer der lustigsten Texte. Ein Kracher ist auch das 2005 gemeinsam mit Rebecca Casati geführte Gespräch mit dem kauzigen Münchener Filmemacher und Frauenbewunderer Klaus Lemke.
Unvergessen auch, wie Sylvester Stallone Gorkow eröffnet, abgefallene Strohhalme von einem lebendigen Anselm-Kiefer-Bild, für das er 1,7 Millionen Dollar bezahlt hat, wieder angeklebt zu haben: "Jeden Tag lag ein Halm unten, ich hin, Klebstoff, Halm wieder dran. Ich hab's nicht eingesehen." Das ist kein Rambotum, sondern Mangel an falschem Respekt, sozusagen Anerkennung inter pares. Ebendiese zeichnet auch Gorkow aus. "Man redet, weil man sich versteht, und nicht, damit man sich versteht", sagt ihm der Journalist Hans Janke einmal, und sein Interviewer erstarrt: "Den letzten Satz würde ich gerne in Marmor hauen." Genau das hat er getan.
Alexander Gorkow: "Draußen scheint die Sonne". Interviews mit . . . Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 364 S., br., 14,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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