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Joghurt mit Feng-Shui
Zu einem modernen Schriftstellerleben gehören die Lesereisen.
Der Autor David Wagner hat ihnen das charmante Buch „Ein Zimmer im Hotel“ abgewonnen
VON ULRICH RÜDENAUER
In einem Feuilleton aus dem Jahr 1929 schildert Joseph Roth seine Ankunft in einem Hotel irgendwo in einer europäischen Hafenstadt. Der Portier kennt seinen Gast bereits von früheren Aufenthalten. Verschwörerisch flüstert er Roth die Zimmernummer zu, als handele es sich um eine Geheimzahl, deren Bedeutung allein Eingeweihte entziffern können. Roth hat einen großen Teil seines Lebens in Hotels zugebracht, sogar einen Roman geschrieben mit dem Titel „Hotel Savoy“.
Gegen den nomadischen Hotelbewohner Joseph Roth ist David Wagner ein Waisenknabe. Allerdings: Rund 110 Hotelzimmer in drei Jahren, das ist auch nicht von schlechten Eltern. Viele dieser Übernachtungen dürften ausgedehnten Lesetouren geschuldet gewesen sein, die sich an Wagners Erfolg mit dem preisgekrönten, in etliche Sprachen übersetzen Buch „Leben“ anschlossen. Für viele Schriftsteller bedeuten Lesereisen verlorene Schreibzeit. David Wagner hingegen hat seine Aufenthalte genutzt und aus jedem Zimmer einen Snapshot in Worten mitgebracht.
„Ein Zimmer im Hotel“ beginnt mit einer weißen, mit Erdbeeren gefüllten Porzellanschale, die als Gruß des Hauses auf dem Couchtisch bereitsteht. Man erkennt daran die luxuriöse Unterkunft. Es gibt eine kleine Terrasse, an den Wänden hängen italienische Architekturstiche. Den Autor selbst muss man sich auf dem Bett liegend vorstellen (in diesem Fall weist das Bett einen Baldachin auf!), solcherart den Raum und seine Eigenheiten erforschend.
Wagner schreibt auf, was er in den Junior Suites, Comfort Rooms, fensterlosen Zimmerchen sieht – mit größter Genauigkeit und einem Sensorium für die feinen Unterschiede, die im Zeitalter der Hotelketten noch Individualität vorzutäuschen scheinen. Ein bisschen erinnert das an die Feuilletons von Joseph Roth, ein bisschen an die Zimmerreisen des späten 18. Jahrhunderts, als der knapp bemessene Raum zum Kosmos wurde und dem Autor in jeder Ecke etwas auffiel, das seine Reflexionslust entfachte. David Wagner geht dabei nach Art eines Archivars vor. Wie in einem Reisefotoalbum sind seine Aufzeichnungen chronologisch geordnet.
Manchmal werden wir über den Standort des Hotels im Stadtbild aufgeklärt, manchmal vom Portier direkt ins Zimmer geleitet, wo der Autor sich und uns einen genauen Eindruck verschafft von Einrichtung, Atmosphäre, Anmutung. Manchmal verweilen wir länger in der provisorischen Unterkunft, manchmal nur für ein paar flüchtige Zeilen. Und manchmal werden wir auch in den Frühstücksraum mitgenommen und nicht im Unklaren darüber gelassen, womit der Autor sich für den Tag stärkt (meist ist das eine eher frugale Mahlzeit, woran man den erfahrenen Hotelgast erkennt). Die Reisen führen Wagner um die halbe Welt: Rom, Basel, Teheran, Bologna, Turin, Tallinn, Peking, Wien oder Kairo, und auch ganz Deutschland wird durchmessen, von Offenburg bis nach Schwerin.
Dieser Vielreisende schenkt den Hotelzimmern besondere Aufmerksamkeit. Er verfügt zum Glück über ein elegantes Beschreibungsvermögen und greift zuweilen dezent über die Bestandsaufnahme hinaus ins Alltagsphilosophische: „Eine Frau, die sich zu mir an den Tisch setzt, ich weiß nicht, wie sie heißt, sagt, die Zimmer dieses Hotels seien sehr männlich, in anderen Hotels gebe es eher weibliche Zimmer, in ihrem ersten hier habe sie es, das sei eine Sache des Feng-Shui, nicht ausgehalten, sie habe (Feng-Shui!) in ein weniger männliches umziehen müssen. Ich sage dazu nichts, esse einfach meinen Joghurt.“
Diese Szene spielt in Turin, aber sie könnte sich überall zugetragen haben. Wagners poetische, idiosynkratische Skizzen handeln nämlich eigentlich davon, dass der Hotelbewohner ein bisschen außerhalb der Zeit lebt und außerhalb seines Lebens, in einer Zwischenwelt. Gerade erst angekommen, ist er schon wieder im Aufbruch begriffen. „Ich fühle mich, als hätte ich mich selbst in einem Hotelzimmer vergessen, als wäre ich oder etwas von mir, ein Teil von mir, in einem dieser vielen Zimmer, in denen ich schon übernachtet habe, liegen geblieben.“
Eine Passage in der Mitte des kleinen, filigranen Buches fällt heraus – nicht nur, weil der Aufenthalt bei der Wasnerin in Bad Aussee länger ist als üblich, sondern weil hier das Hotel nicht im Zentrum steht, sondern nur als Ausgangspunkt für strapaziöse Bergtouren des Autor-Ichs dient. Es ist fast so, als müsste der Erzähler nach all den beengten Zimmerreisen diesmal weit ausgreifen, ganz hoch hinauf zum Sarstein wandern und über Serpentinen wieder hinab in die sich endlos streckenden Täler, bis zur Erschöpfung, um sich selbst nicht irgendwo zu vergessen. Eine Ablenkung von der Arbeit. Ein Luftholen. Auch für den Leser. Und am Ende ein Seufzer: „Diese Berge. Schauen sie nicht doch zurück?“ Danach beginnt allerdings wieder der Alltag des Lesereisenden – mit dem Hotel Nizza, das ausgerechnet in Frankfurt steht.
„Ein Zimmer im Hotel“ ist eine kontemplative Fingerübung, die den Blick für den nächsten Hotelbesuch schärft. Wagner endet dabei allerdings meist da, wo das Interesse des großen Joseph Roth erst geweckt wird: „Hier, in der Halle, bleibe ich sitzen“, schriebt er 1929, „sie ist die Heimat und die Welt, die Fremde und die Nähe, meine ahnenlose Galerie. Hier beginne ich über das Hotelpersonal, meine Freunde, zu schreiben. Es sind lauter Persönlichkeiten! Weltbürger! Menschenkenner! Sprachenkenner, Seelenkenner! Keine Internationale neben der ihrigen! Sie sind die wahrhaft Internationalen!“
Das Leben jenseits des Hotelzimmers bleibt bei Wagner verschwommen; es ist da, aber es wird nur gestreift. Weil es die Persönlichkeiten, von denen sich Roth in Schreiblaune bringen ließ, nicht mehr gibt? Oder weil das Projekt sonst ausgeufert wäre? Vielleicht auch nur, weil die Beredtheit der Dinge manchmal schon ausreicht. Man muss die Gegenstände eben nur zum Sprechen bringen können.
David Wagner: Ein Zimmer im Hotel. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2016. 128 Seiten. 18,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.
David Wagner reist viel, und
wendet doch jedem Hotelzimmer
seine Aufmerksamkeit zu
Das Leben jenseits des Hotels
bleibt verschwommen.
Es ist da, aber es wird nur gestreift
Groß ist die Beredtheit der Dinge im Hotelzimmer.
Foto: Regina Schmeken
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