Wenderoman über Tabus von Mutterschaft
»Irgendwann kroch Lena doch aus dem Schrank heraus. Sie ertrug den eigenen Geruch darin nicht mehr, die feuchtwarme Luft, die Enge. Und sie musste Milch loswerden.«
Wir können uns entscheiden mit welcher Seite wir beginnen, mit einer verzweifelten Mutter,
die ihr Baby verlässt oder mit dem verlassenen Kind, das mittlerweile 15 Jahre alt ist. Wir lesen…mehrWenderoman über Tabus von Mutterschaft
»Irgendwann kroch Lena doch aus dem Schrank heraus. Sie ertrug den eigenen Geruch darin nicht mehr, die feuchtwarme Luft, die Enge. Und sie musste Milch loswerden.«
Wir können uns entscheiden mit welcher Seite wir beginnen, mit einer verzweifelten Mutter, die ihr Baby verlässt oder mit dem verlassenen Kind, das mittlerweile 15 Jahre alt ist. Wir lesen zwei Perspektiven, die in der Mitte aufeinander treffen. Sie sind verbunden in der Liebe zu Holz und Skulpturen, in den Orten, in ihrer emotionalen Valenz, der Sehnsucht nach Geborgenheit und ihrer Wut. Doch sie treffen sich nicht, ihre Zeitebenen bleiben getrennt.
Lena begegnen wir in einem Ausnahmezustand. Sie versteckt sich in der Hütte ihres Schwagers, hungernd mit schmerzenden Brüsten, die vor kurzem noch ihr Kind ernähren. Der Text ist direkt und körperlich. In springenden Rückblenden verdichtet sich die Geschichte ihrer Mutterschaft und ihrer Beziehung zu Robert. Sie war eine selbstbewusste Frau, dann wurde sie schwanger, fühlte sich verlassen, überfordert mit dem Schreibaby Konrad. Fast spannender hätte ich gefunden, wie ihr Leben weitergeht, doch davon erfahren wir nicht.
Auf Konrad treffen wir im Internat, innerlich leer und wütend 15 Jahre später. Er hat große Schwierigkeiten, Bindungen einzugehen, macht er doch immer wieder die Erfahrung verlassen zu werden. Er verletzt sich schon als Vorschulkind selbst, therapeutische Hilfen erreichen ihn nur verhalten, das Kindermädchen ist zu jung, der Vater Robert weicht einer Bindung aus. Doch er entdeckt sein Begehren mit einem Mitschüler, ein kurzes Glück, denn der verlässt ihn auch.
Die Form des Wenderomans verzeiht kaum Qualitätsunterschiede im Sound und in der Ausarbeitung der Figuren. Leider empfand ich beide Teile als unterschiedlich stark. Auch wenn Lena in der dritten Person erzählt wird, kommt sie nahe, beschäftigt und überzeugt. Bei Konrad hoffte ich sehr auf eine Systemsprenger - Wirkung, doch meine emotionale Beteiligung blieb bei ihm diffus auf Distanz. Ein dennoch spannender Roman.