"Emotional Female" von Yumiko Kadota ist der ausführliche Lebens- und Berufsbericht einer jungen Frau mit japanischen Wurzeln, die im öffentlichen australischen Gesundheitssystem als Ärztin so sehr ausgebrannt ist, dass sie dieses am Ende verlassen musste.
Angesprochen hat mich bei dem Thema
schon der Titel "Emotional Female". Auf diesen geht die Autorin gleich am Anfang ein und bestärkt…mehr"Emotional Female" von Yumiko Kadota ist der ausführliche Lebens- und Berufsbericht einer jungen Frau mit japanischen Wurzeln, die im öffentlichen australischen Gesundheitssystem als Ärztin so sehr ausgebrannt ist, dass sie dieses am Ende verlassen musste.
Angesprochen hat mich bei dem Thema schon der Titel "Emotional Female". Auf diesen geht die Autorin gleich am Anfang ein und bestärkt Menschen, zu ihrer Emotionalität zu stehen und diese als etwas Positives zu sehen. Das hat sie mir gleich sympathisch gemacht und mich für ihre Erzählung emotional geöffnet.
Das sehr umfangreiche Buch beginnt mit ein paar drastischen Szenen aus Yumikos Alltag als Ärztin, um danach ganz zurück zum Anfang zu gehen: erst einmal begleiten wir Yumiko ausführlich durch ihre Kindheit, Jugend und Studentinnenzeit. Wer schon neugierig darauf ist, endlich mehr über ihre Erfahrungen als Ärztin zu erfahren, für den könnte dieser Teil stellenweise etwas langatmig wirken.
Jedoch lernen wir dabei Yumikos Persönlichkeit und familiären und kulturellen Hintergrund besser kennen: sie stammt aus einer extrem leistungsorientierten, japanischen Familie, und hat auch selbst eine sehr ambitionierte Persönlichkeit.
Diese Persönlichkeit, gemeinsam mit ihrer sicherlich hohen Intelligenz, verschafft ihr auch einen Platz im Medizinstudium, zu dem der Zugang sehr kompetitiv ist: alle erfolgreichen Erstsemestrigen haben mehr als 99 % der Punkte im Aufnahmeverfahren und unterscheiden sich nur in den Nachkommastellen. Das zeigt schon, was für ein ganz spezielles, extrem leistungsorientiertes und zur Selbstausbeutung neigendes soziales Milieu hier herrscht.
Besonders interessant waren für mich Yumikos tatsächliche Erfahrungen in den Kliniken: erst als Praktikantin während dem Studium und dann als Ärztin mit dem Wunsch, Fachärztin der Chirurgie zu werden. In dem System gibt es nicht nur wenig Solidarität unter dem ärztlichen Personal, viel Konkurrenz, sexuelle Belästigungen, die kaum geahndet werden können, ohne sich ins berufliche Aus zu schießen, und rassistische Bemerkungen gegenüber der japanischstämmigen jungen Frau, sondern auch einen unglaublichen Leistungsdruck.
Yumiko lässt sich anfangs darauf ein und versucht sogar, noch mehr Stunden zu arbeiten, als von ihr gefordert wird, überall 150 Prozent zu bringen, jeden Tag vor dem Frühdienst noch ins Fitnesscenter trainieren zu gehen, an Laufwettbewerben teilzunehmen und ehrenamtlich tätig zu sein... das alles bis zum Zusammenbruch. "Messer vor Familie", das sei die Devise derjenigen, die eine Fachausbildung im Bereich Chirurgie anstreben... Yumiko hat noch keine eigene Familie, also modifiziert sie den Spruch zu "Messer vor Leben".
Dabei kann man sich beim Lesen durchaus die Frage stellen: was hat zum Zusammenbruch geführt, das unbarmherzige, ausbeuterische System oder Yumikos extrem leistungsorientierte Persönlichkeit? Sicher ein Zusammenspiel von beidem... allerdings ist sie mit ihrer Persönlichkeit in diesem System sicherlich keine Ausnahme, denn von Anfang an wurde darauf hin selektiert: angefangen über die Zulassung zum Studium über das Studium selbst bis hin zur Bewerbung für Ausbildungsstellen danach.
Mit ihrer extremen Leistungsorientierung, ihrem Drang, sich als extrem fleißig und intelligent darzustellen und ihrem mangelnden Blick für eine mögliche Solidarisierung mit anderen ist die Autorin sicherlich nicht nur eine Sympathieträgerin für alle. Das laste ich dem Buch aber nicht an, denn die junge Frau ist, wie sie ist, und es hat kulturelle und systemische Gründe, warum sie so geworden ist.
Meinen Respekt hat sie für das Teilen dieser sehr persönlichen Erfahrung im medizinischen System Australiens und fürs Eröffnen einer wichtigen Debatte über die Arbeitsbedingungen für medizinisches Personal: das ist ein wichtiges Thema, das nicht nur Australien betrifft, sondern viele Länder.
Ein bisschen schade fand ich, dass so viel Raum im Buch der Vorgeschichte und dann dem Weg bis zum Burnout gewidmet ist, aber nur recht wenig Platz für die Zeit danach und mögliche Lösungsmöglichkeiten auf gesellschaftlicher Ebene geblieben ist.
Ich habe das Buch insgesamt gerne gelesen und kann es jenen, die bereit sind, sich auf eine etwas außergewöhnliche Persönlichkeit und deren ausführliche Erzählweise einzulassen, durchaus empfehlen.