Es gibt keine Geheimnisse, die die Zeit nicht irgendwann offenbart (Jean Racine)
Für Fritz hängt gerade der Himmel voller Geigen, denn ausgerechnet Freda, die Tochter des Bürgermeisters, hat sein Sehnen erhört und wird seine Freundin. Zwischen den Vorbereitungen für die Abiprüfung, der Euphorie
der WM 1974 und den ersten sexuellen Erfahrungen klebt aber ein fieses Geheimnis, das die…mehrEs gibt keine Geheimnisse, die die Zeit nicht irgendwann offenbart (Jean Racine)
Für Fritz hängt gerade der Himmel voller Geigen, denn ausgerechnet Freda, die Tochter des Bürgermeisters, hat sein Sehnen erhört und wird seine Freundin. Zwischen den Vorbereitungen für die Abiprüfung, der Euphorie der WM 1974 und den ersten sexuellen Erfahrungen klebt aber ein fieses Geheimnis, das die Dorfgeschichte bis heute prägt. Aber warum schweigen alle, wenn die Erklärung doch offensichtlich ist ? Je mehr Fritz nachbohrt, desto größer werden die Klüfte, die sich auftun. Unfreiwillig stößt Fritz in ein Wespennest und ahnt nicht, dass dieser Dolchstoß ihn ein Leben lang begleiten wird....
Arne Dessaul erzählt von Mauern...in Köpfen, in dörflichen Gemeinschaften, auf Herz und Zunge und als sichtbar gewordene Machtdemonstration eines ganzen Landes und doch verbindet er Leser:innen und Figuren. Nicht immer gelingt es ihm auch Anhieb, denn der Roman braucht ganze 100 Seiten, um aus den Startlöchern zu kommen und richtig Fahrt aufzunehmen.
Und dann ist es wie mit dem sprichwörtlichen Stein, der einmal ins Rollen gekommen, nicht mehr aufzuhalten ist. Fritz Tiedemann ist ein Blender, ein Lügner und Betrüger und täuscht nicht nur seine Mitmenschen, sondern auch sich selbst. Was als harmlose Affäre beginnt, entwickelt sich fast schon zu einer Art sexueller Hörigkeit und dadurch sieht Fritz die Zeichen der Zeit leider nicht oder nimmt sie nur verschwommen wahr.
Dessaul weckt die Gespenster der Vergangenheit und beweist, dass Lügen und Geheimnisse wie Ungeziefer sind, denn sie kriechen denjenigen immer nach, die sie mit aller Macht zu verheimlichen versuchen. Aus jeder Ecke, jedem Winkel oder wie hier, aus jeder Tagebuchseite, prangern sie auch Jahrzehnte später das an, was oft kunstvoll und mühsam in Lügengebilden aufgebaut wird.
Der Autor zeichnet ein echtes Retro-Gemälde eines niedersächsischen Dorfes nahe der deutsch-deutschen Grenze und lässt auch eine echt coole Playlist dazu abspielen. Während "Waterloo" im Radio rauf und runter läuft, erlebt Fritz selbst seinen ganz persönlichen Untergang und wünscht sich dabei, das "Über den Wolken" nicht nur seine Freiheit grenzenlos ist, sondern auch seine Probleme "plötzlich nichtig und klein" werden.
Dessaul bedient die Genres Krimi, Coming-of-Age und Vergangenheitsbewältigung zu einem Mix, der sich spannend entwickelt und mit überraschenden Wendungen immer wieder für Erstaunen und Aha-:Momente verantwortlich ist. Der Showdown fesselt die Leserschaft mit faszinierenden Fakten an die Seiten und doch bleiben manche Fragen ungeklärt und der Ausgang der Fantasie überlassen.
Nicht alltäglich in der Herangehensweise, somit definitiv anders als der Mainstream und gerade deswegen lesenswert