"Fable for the End of the World" ist eine düstere, schonungslose Dystopie, die von der ersten Seite an unter die Haut geht. Die Erde ist verseucht, der Meeresspiegel steigt, und ein mächtiger Konzern bestimmt das Leben – und den Tod – der Menschen. Herzstück dieser grausamen Gesellschaft ist der
„Lauf des Lamms“: ein tödlicher Wettkampf, bei dem hochverschuldete Menschen – die „Lämmer“ – von…mehr"Fable for the End of the World" ist eine düstere, schonungslose Dystopie, die von der ersten Seite an unter die Haut geht. Die Erde ist verseucht, der Meeresspiegel steigt, und ein mächtiger Konzern bestimmt das Leben – und den Tod – der Menschen. Herzstück dieser grausamen Gesellschaft ist der „Lauf des Lamms“: ein tödlicher Wettkampf, bei dem hochverschuldete Menschen – die „Lämmer“ – von ausgebildeten „Engeln“ gejagt werden. Alles wird live übertragen, als Unterhaltung für eine abgestumpfte Bevölkerung.
Als Inesas Mutter in unüberwindbare Schulden gerät, stellt sie ihre Tochter als Lamm auf – wohl wissend, dass dies in der Regel einem Todesurteil gleichkommt. Ihr Gegner ist Melinoë, eine tödlich präzise Kämpferin, die von klein auf für diesen Zweck ausgebildet und durch technische Eingriffe verändert wurde. Ihre Gefühle und Erinnerungen wurden gelöscht, Empathie und Reue gezielt unterdrückt. Was wie eine reine Jagd beginnt, entwickelt sich zu einer gefährlichen, innerlich widersprüchlichen Annäherung – keine Liebesgeschichte, sondern ein psychologisches Abhängigkeitsverhältnis, das deutliche Züge eines Stockholm-Syndroms trägt.
Ava Reid schreibt intensiv, bildstark und unerschrocken. Die Brutalität der Welt – und die Skrupellosigkeit, mit der selbst Kinder in den Wettkampf geschickt werden – wird ohne Beschönigung dargestellt. Besonders die Passagen, in denen Melinoë ihre Vergangenheit und die systematische Auslöschung ihrer Menschlichkeit schildert, gehen tief. Gleichzeitig gelingt es der Autorin, Spannung und beklemmende Stille in Balance zu halten – der Leser ist permanent hin- und hergerissen zwischen Abscheu und Faszination.
Inesa ist eine glaubwürdige, vielschichtige Protagonistin, die unter extremem Druck über sich hinauswachsen muss. Melinoë hingegen ist zunächst ein fast unnahbarer, kalter Gegenpol – bis Risse in ihrer Programmierung sichtbar werden. Die Annäherung zwischen den beiden ist erzählerisch interessant, zugleich aber problematisch: Sie basiert nicht auf freier Entscheidung, sondern auf Zwang, Abhängigkeit und der gemeinsamen Ausweglosigkeit. Diese moralische Ambivalenz ist erzählerisch konsequent, kann aber das emotionale Mitgehen erschweren und hinterlässt einen Beigeschmack.
Aufgrund der expliziten Gewalt, der Thematik von Tod, Mord und Missbrauch von Kindern würde ich den Roman frühestens ab 16 Jahren empfehlen. Wer Dystopien mit moralischen Grauzonen schätzt, wird hier auf seine Kosten kommen – sollte sich jedoch auf eine psychisch wie emotional fordernde Lektüre einstellen.
"Fable for the End of the World" ist ein fesselndes, kompromissloses Werk, das nicht nur unterhält, sondern auch verstört. Es wirft Fragen nach Moral, Macht und Menschlichkeit auf – und nach dem Preis, den wir zahlen, wenn wir andere Menschen zur Unterhaltung opfern. Die komplexe, aber problematische Beziehungsebene ist inhaltlich nachvollziehbar, hat bei mir jedoch den Gesamteindruck gedämpft.
Fazit:
Das Buch fesselt und verstört, schafft eine dichte Atmosphäre und regt zum Nachdenken an – dennoch wirkt die Geschichte durch die ambivalente Beziehungsebene für mich nicht ganz rund.