Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Wunderbare Männerfreundschaft zwischen zwei jugendlichen Außenseitern: "Freak" von Rodman Philbrick
Freak ist schlau. Freaks zwölfjähriges Herz wird zu groß für seinen zwergenhaften Körper, der nicht mehr wachsen will. Deshalb ist Freak auf Bionik und Robotik versessen und glaubt daran, daß die Medizin ihm eines Tages einen Ersatzkörper schenken wird. Stark und unverwundbar wie König Artus will der Krüppel sein und bleibt doch kaum mehr als ein kleiner Ritter von trauriger Gestalt.
Max ist - nun, nicht dumm, aber ein wenig stumpf und verhaltensgestört. Und groß, viel zu groß. Er versteckt sich im Keller, liegt lieber unter seinem Bett als darauf, wo er über seinen Vater nachdenkt, den im Knast einsitzenden Killer. Als Max vom kämpferischen Freak ans Licht gezerrt wird, ist es, als hätten beide Jungen nur aufeinander gewartet. Schon bald darauf trägt der tumbe Lulatsch den bis an die Nervgrenze altklugen Zwerg auf seinen Schultern durch die verblüfft aufmerkende Stadt. Roß und Reiter, Gehirn und Körper, Geist und Materie - ein unschlagbares Duo.
In diesen Szenen der sich schnell festigenden Freundschaft zwischen den beiden Außenseitern spielt Freak seine Stärken aus, und auch das Buch besitzt deren nicht wenige: eine oft atemlose, soghafte Sprache, sauber übersetzt übrigens. Poetische Momente finden sich, in denen nicht Freak, das wandelnde Wörterbuch, sondern Max sein Universum erklärt - im Spiegel dessen, was er von dem Freund darüber gelernt hat. Da ist die immer wieder aufblitzende lakonische Zärtlichkeit zwischen den beiden Jungen. Da sind die Stellen, wo das Erzählen nur sparsam angedeuteten Gesten überlassen wird, schließlich die sich nur zögernd offenbarende Antwort auf die Frage, was wirklich vor vielen Jahren zwischen Max' Eltern vorgefallen ist.
Doch das sind rare, viel zu kurze Augenblicke. Im entscheidenden Moment - Freaks tödlich verlaufende Krankheit offenbart sich, Max wird mit dem gefürchteten Vater konfrontiert - macht Rodman Philbrick den Fehler, sich nicht mehr auf seine Charaktere zu verlassen, und verschenkt sein Thema an billige Hollywood-Dramaturgie. Killer Kane wird aus dem Knast entlassen und entführt seinen Sohn, das Trauma des Jungen kommt ans Licht. So spannend das auch ist - das Erzählen gerät zur effekthascherischen Kolportage, und es offenbart sich der Mangel des Buches: sein Zuwenig an Gefühl.
Hier stecken zwei ungleiche Jungen zusammen, jeder ein Gefangener seiner Ängste, und zelebrieren auf jugendlichem Niveau das, was wohl eine wunderbare klassische Männerfreundschaft werden könnte: bloß nicht über Gefühle sprechen, seine Ängste kaschieren, wozu reden, Freundschaft ist doch ein Wert an sich. Auf fatale Weise ist "Freak" zu einem echten Jungenbuch geraten.
Oder liegt hier ein Mißverständnis vor? Sollen wir Freak nur deshalb von außen sehen, damit uns am Ende, als er stirbt, die Erkenntnis seiner inneren Einsamkeit um so tiefer trifft? Das Herz wächst schneller als der Körper - schade, daß man davon an den entscheidenden Stellen bei Rodman Philbrick kaum etwas merkt.
ANDREAS STEINHÖFEL
Rodman Philbrick: "Freak". Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Otto Maier Verlag, Ravensburg 1998. 192 S., geb. 24,80 DM. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH