Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D, I ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Deutsches war cool und verlockend: Christoph Dallach würdigt den Krautrock, indem er dessen wichtigste Vertreter ausführlich zu Wort kommen lässt.
Was hat sich die deutsche Plattenindustrie austricksen lassen! Der Journalist und Manager Uwe Nettelbeck verkaufte Anfang der Siebzigerjahre die Experimentalband Faust als die "neuen Beatles". Das Musiklabel Polydor war in Sorge, das nächste große Ding zu verpassen, nahm sie unter Vertrag, kaufte der Truppe eine alte renovierte Schule in Wümme bei Bremen und ließ sie ein Jahr lang Aufnahmen machen. Irgendwann merkte die Plattenfirma, dass dabei keine Hits heraussprangen, sondern die langhaarigen Käuze eher an dem Teil von "I Am The Walrus" interessiert waren, an dem sich die Bänder rückwärts drehen.
Nach zwei Alben ließ man sie fallen. Dafür hatte Richard Branson mit seinem neu gegründeten Virgin-Label Interesse. Die Verkaufszahlen blieben überschaubar, doch der kulturelle Nachhall der deutsch-österreichisch-französischen Band ist so mächtig, dass Faust neben Can und Neu! zum Inbegriff des Krautrock wurden. Karrierehighlight: Ein auf der Straße angesprochener Arbeiter sprengt mit einem Presslufthammer die Schallgrenze eines Rockkonzerts und nimmt das Genre Industrial vorweg. Die drei Vorzeigegruppen haben Horden jüngerer Bands inspiriert. "Faust sind im Ausland immer besser angekommen als in Deutschland", beklagt sich Bandmitglied Hans-Joachim Irmler. "Wahrscheinlich müssen wir erst alle tot sein, bis sich hier jemand für uns interessiert."
Zu dieser Wahrnehmung passt, dass die bislang meistbeachteten Bücher über den Krautrock aus dem Ausland stammen. Der New-Wave-Sänger Julian Cope (The Teardrop Explodes) hat Mitte der Neunzigerjahre mit "Krautrocksampler" ein kleines Revival eingeläutet. "Future Days", der Name einer der besten Can-Platten, gab der umfassenden Würdigung des englischen Musikjournalisten David Stubbs den Titel. Anerkennung fand auch "Krautrock: Underground, LSD und kosmische Kuriere", das der deutsche Journalist Henning Dedekind im vergangenen Jahr vorgelegt hat.
Doch ein Buch wie "Future Sounds" des Zeit- und Spiegel-Online-Autors Christoph Dallach hat es noch nicht gegeben. Es ist eine breit angelegte Oral History. Alle Protagonisten, die zum Zeitpunkt der Recherche noch lebten, kommen ausführlich zu Wort - von den Can-Mitgliedern Holger Czukay, Irmin Schmidt und Jaki Liebezeit über den Wallenstein-Keyboarder und Gastronomiekritiker Jürgen Dollase bis zu Renate Knaup und Chris Karrer von Amon Düül II. Ebenso eine Reihe von Fans und Zeitgenossen wie Jean-Michel Jarre, Paul Weller oder New-Order-Drummer Stephen Morris.
"Krautrock war etwas Eigenständiges, das europäische Wurzeln hatte, und das passte eben nicht allen", sagt Jarre, einer der Pioniere elektronischer Musik. Und diese Wurzeln lässt Dallach seine Protagonisten detailliert beschreiben: der Unwille, amerikanischen Blues nachzuspielen, der Kulturbruch durch zwölf Jahre Drittes Reich, die mangelnde Reflexion der Väter über diese Schande, der Experimentiergeist, der mit den politischen Umbrüchen von 1968 korrespondierte. Doch in der Gesellschaft war das kaum vermittelbar. "Auf einmal war alles Riskante verdächtig, gefährlich, weil es zu Faschismus führen könnte. Aber auf der Basis hätte man ja gleich aufhören können", sagt Achim Reichel, der nach seiner erfolgreichen Beat-Phase mit den Rattles im Projekt A.R. & Machines selbst zum Krautrocker wurde.
Die Methode Dallachs, Protagonisten ausführlich zu Wort kommen zu lassen, hat sich seit Jürgen Teipels Buch "Verschwende deine Jugend" über die Neue Deutsche Welle bewährt. Viele der Beteiligten sind zwischenzeitlich verstorben, das lässt "Future Sounds" wie ein Vermächtnis wirken. Natürlich bietet eine Oral History Spielraum für die Beschönigung der eigenen Rolle. Doch die Krautrocker waren reflektierte Musiker, die sich über Konzepte genauso Gedanken machten wie über politische Umstände und Vorbilder. "Ich wollte ganz persönlich am kulturellen Wiederaufbau teilhaben und etwas dazu beitragen", sagt Irmin Schmidt.
Dallach tritt als Autor nicht auf, aber seine Leistung als Kurator ist groß. Er setzt eine sinnvolle Gewichtung. Die beiden international am meisten geschätzten und konzeptionell tiefgründigsten Musiker Schmidt und Michael Rother haben große Redeanteile. Die Berliner Schule um Tangerine Dream, Agitation Free und Ash Ra Tempel wird ausführlich gewürdigt, und die Erzählungen von Protagonisten wie Joachim Roedelius (Cluster) beschwören die haschischgeschwängerte Luft im kurzlebigen Berliner Zodiak-Club.
Auch die LSD-Experimente des Labelbetreibers Rolf-Ulrich Kaiser mit seinen Kosmischen Kurieren und die herausgehobene Position des Produzenten Conny Plank finden Erwähnung. "Diese Bands hatten eine Tiefe und Wut, die die der englischen Bands, die ich damals kannte, übertraf", sagt Julian Cope. Stephen Morris, der mit seiner Schulband "Oh Yeah" von Can gecovert hat, hebt hervor: "Deutsches war nicht im Entferntesten uncool. Im Gegenteil, es war fremd und verlockend."
Heute erscheint klarer, was das Erbe der Krautrocker ist. Radiohead, Sonic Youth, die halbe elektronische Musikszene und der Postrock berufen sich darauf. Iggy Pop beschreibt, wie ihn der Krautrock in den Siebzigerjahren befreit habe und seine Spuren immer deutlicher hinterlasse. Christoph Dallach hat das Buch geschrieben, das seine Gestalter würdigt und ihren Rang im eigenen Land deutlich macht. PHILIPP KROHN
Christoph Dallach: "Future Sounds". Wie ein paar Krautrocker die Popwelt revolutionierten.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 511 S., br., 18,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main