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Selbstreflexion ist Voraussetzung für gutes Management
Topmanager sind heute vom Nimbus des Besonderen umgeben wie kaum eine andere Berufsgruppe. Sie geben Stoff für Heldengeschichten wie für tiefe Abstürze und sind gleichermaßen Projektionsfläche gesellschaftlicher Konflikte. Wenig ist jedoch bekannt, welchen Herausforderungen sie sich gegenübersehen, und vor allem, wie diese "Alphatiere" zusammenarbeiten. Diese "Blackbox" zu öffnen ist das große Verdienst von Kai Dierke und Anke Houben mit ihrem Buch "Gemeinsame Spitze".
Die beiden Autoren sezieren darin nüchtern, wie Manager von der Wucht allgegenwärtiger Komplexität getroffen sind und dabei immer mehr gezwungen werden, über ihren Schatten zu springen und im Team zusammenzuarbeiten. Und genau hier sehen sie die Quelle der Leistungssteigerung: mehr gemeinsame Anstrengung in einer "disziplinierten Reflexionsgemeinschaft". Die Autoren konkretisieren ihren umfassenden Apell zur Kooperation dann in einer "Logik des Gelingens" und beschreiben Schritt für Schritt, wie Topmanager unproduktive Selbsttäuschungen überwinden und aus alten Denkmustern ausbrechen können. Mit kühler Logik hat all dies nichts zu tun.
Dierke und Houben argumentieren mit den Mitteln der modernen Psychologie und führen allerlei Wahrnehmungsfehler und mentale Barrieren ins Feld, die eine Beeinträchtigung der Führungsleistung bewirken und in der Folge ganze Unternehmen ins Unglück stürzen können. Übermäßiges Selbstvertrauen, Realitätsverweigerung oder auch eine Neigung zu vorschnellem Handeln seitens des Topmanagements haben an der Spitze eines Großkonzerns desaströse Auswirkungen.
Nach Auffassung der Autoren sollte ein Topteam solche Dysfunktionalitäten angehen, und sie empfehlen eine "Reflexion in Aktion". Dies klingt etwas umständlich, meint aber im Kern eine alte Weisheit, wonach Selbstreflexion ein wichtiger Motor zur Entwicklung sein kann. Zunächst stellen die Autoren klar, dass es dafür weder Patentrezepte gibt, wie sie in gängigen Ratgebern angepriesen werden. Noch seien therapeutische Ansätze dafür geeignet. Sie favorisieren stattdessen den steinigeren, aber dafür realistischeren Weg der selbstkritischen Auseinandersetzung in der Gruppe. Dieser Gedanke der Teamentwicklung ist nicht neu. Das Potential für die Entwicklung des Einzelnen durch die Arbeit an der Entwicklung der Gemeinschaft müssen jedoch immer wieder neu und kreativ erschlossen werden. Sie sehen dabei den Vorstandsvrsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) in einer neuen Rolle des "Chief Enabling Officers", der es sich zur Führungsaufgabe macht, die Qualität der Zusammenarbeit in der oberen Führungsebene als Teil seiner Arbeitsplatzbeschreibung zu sehen.
An dieser Stelle könnten die Autoren aufhören, denn die Botschaft ist klar und praktisch formuliert. Dierke und Houben gehen aber noch einen Schritt weiter. Im zweiten Teil des Buches stellen sie sich der Praxis und arbeiten anhand von Fallstudien heraus, wie ihr Ansatz hilft, auch noch so verworrene Führungssituationen zu analysieren und Wege nach vorn zu finden. In profunder Kenntnis der Literatur zur Unternehmensführung und Grundlagen der Gruppendynamik, aber eben auch - und das ist selten genug - der Unternehmenswirklichkeit stellen sie Momente des Scheiterns, aber auch des Gelingens plastisch dar. Allein für diesen Einblick lohnt die Lektüre.
Insgesamt setzt das Buch neue Maßstäbe. Nicht nur, dass der Zugang zur oberen Führung eines Unternehmens geöffnet wird. Die einschlägige Fachliteratur hat hier bis heute ein großes Defizit. Es ist auch die wertschätzende Art, mit der Manager in ihren (allzu) menschlichen Stärken und Schwächen charakterisiert werden. Entscheider dürften sich mit Gewinn darin wiedererkennen. Bemerkenswert ist auch, mit welcher Leichtigkeit und sprachlichen Eleganz wissenschaftliche Erkenntnisse eingearbeitet werden, so dass auch Forscher die Arbeit mit Gewinn lesen und ihre manchmal etwas blutleeren Theorien daran messen können.
Der Ansatz hat aber auch einen Preis: Indem vor allem die mentalen Herausforderungen in der Zusammenarbeit betont werden, tritt der andere Teil der sozialen Rolle eines Topmanagers in den Hintergrund: Wie steht es um die Konflikte, die sich in Über- und Unterordnungsverhältnissen ergeben? Welche Dilemmata erfahren Manager allein aufgrund der Sachlogik ihres Geschäfts? Denn ein noch so produktives Führungsmilieu kann die Rahmenbedingungen des Managements nicht außer Kraft setzen. Psychologie ist das eine, Macht und Politik das andere.
Insbesondere der in der Gesellschaft erlittene Reputationsverlust der Wirtschaftsführer ist Anlass, die eigene Rolle auch im Außenverhältnis über die Unternehmensgrenzen hinweg zu reflektieren. Denn neben der eigenen Familie und dem Freundeskreis ist nichts stabilisierender für das Selbstbild als eine Wertschätzung in der Gesellschaft. Ohne diesen Rückhalt dürfte es immer schwerer werden, das obere Management als Spitzensport erfolgreich zu betreiben.
TIMO MEYNHARDT.
Der Verfasser ist Professor an der Universität St. Gallen.
Kai Dierke / Anke Houben: Gemeinsame Spitze.
Campus, Frankfurt 2013, 302 Seiten, 39,99 Euro
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