Ein Buch für ungestörte Stunden
Über Herkunft und Leben von bekannten und weniger bekannten Leuten gibt es vermutlich allein im deutschen Sprachraum fast unendlich viele Bücher. Dieses Buch, von Botho Strauß verfaßt, halte ich für ein besonderes. Es handelt sich um die aneinandergereihten Szenen
aus dem Leben seiner Familie, die fünfzig, sechzig und mehr Jahre zurückliegen: sie erzählen über den…mehrEin Buch für ungestörte Stunden
Über Herkunft und Leben von bekannten und weniger bekannten Leuten gibt es vermutlich allein im deutschen Sprachraum fast unendlich viele Bücher. Dieses Buch, von Botho Strauß verfaßt, halte ich für ein besonderes. Es handelt sich um die aneinandergereihten Szenen aus dem Leben seiner Familie, die fünfzig, sechzig und mehr Jahre zurückliegen: sie erzählen über den kriegsversehrten, Form und Charakter haltenden, strengen gleichwohl liebevollen, kultivierten Vater, die von Frohsinn geprägte (schöne) Mutter, eine gütige Großmutter, inspirierende Lehrer und immer wieder über die kleine Stadt am trägen Fluß. Vorgetragen in behutsamer, jedes Wort wägende, erfindende, hochgradig empfindliche Sprache. Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen Vater und Sohn nachzeichnend, Eigenschaften nachsinnend, die der Vater dem Sohn, durch sein Verhalten, seine bloße Existenz, aufgeprägt hat. Eine schmerzliche Stimmung geht durch das Buch, unvermeidbar wohl, wie aus ähnlichen Büchern bekannt, wenn der Autor dem Unwiederbringlichen nachtrauert, die Arglosigkeit und Beherztheit des Heranwachsenden, für Augenblicke zumindest, zurückwünscht.
Besonders stark die Passage über die Mutter (S.79-81), die erst gegen Ende des Buches größere Beachtung findet, die ich in Form und Inhalt gerne auch über meine Mutter hätte schreiben wollen...
Natürlich sehe ich mich auch in diesem Buch mit dem für Strauss charakteristischen Dickicht seiner Tiefenreflexionen konfrontiert, die mir im Sinn verschlossen, in ihrem Pathos übermäßig erscheinen. Seite 48 bietet ein beredtes Beispiel. Was ist ein atmosphärischer Gewinn? Was die Weißung des Wissens? Oder Seite 62: „Akute Erinnerung kennt nur Damals-Unmittelbarkeit, Damals-Überwältigung“. Ich wäre auch neugierig auf sein neues Haus in Berlin (oder der Uckermark?), „das keine weiblichen Höhlungen besitzt.“ Vieles mehr ließe sich anführen, was besser unterbleibt, würde es doch allein dadurch unverständlicher, weil aus dem Kontext genommen.
Ein Buch für ungestörte Stunden, in der einsamen Berghütte vor dem Schlafengehen, zum Beispiel.