Ich habe "Hillbilly Elegy" jetzt mal nachgeholt, weil ich verstehen wollte, wie aus dem jungen Mann, der dieses schonungslose, verletzliche und erstaunlich aufrichtige Buch geschrieben hat, später der Politiker J.D. Vance werden konnte, den ich heute mit wachsender Irritation beobachte. Vielleicht,
so hoffte ich, würde sich zwischen den Zeilen ein Schlüssel finden, irgendeine Linie, die…mehrIch habe "Hillbilly Elegy" jetzt mal nachgeholt, weil ich verstehen wollte, wie aus dem jungen Mann, der dieses schonungslose, verletzliche und erstaunlich aufrichtige Buch geschrieben hat, später der Politiker J.D. Vance werden konnte, den ich heute mit wachsender Irritation beobachte. Vielleicht, so hoffte ich, würde sich zwischen den Zeilen ein Schlüssel finden, irgendeine Linie, die Vergangenheit und Gegenwart verbindet. Doch genau das ist nicht geschehen. Stattdessen hat mich das Buch ratloser zurückgelassen, als ich vorher war.
Was mich am meisten irritiert: Der Autor des Buches wirkt reflektiert, selbstkritisch, offen für Ambivalenzen. Die Art, wie er über Armut, Gewalt, Sucht und vor allem über die emotionale Zerreißprobe "sozialer Aufstieg" schreibt, zeugt von hoher Sensibilität. Man spürt, dass da jemand genau hinschaut, auf sich, auf seine Herkunft, auf die soziale Wirklichkeit eines Milieus, das in den USA permanent übersehen wird. Die Passagen über seine Großmutter, die chaotische Mutter, den ständigen Kampf um Stabilität. Das ist literarisch wie dokumentarisch überzeugend.
Und doch scheint dieser erzählerische J.D. Vance wenig mit dem Politiker gemein zu haben, der heute mit einfachen Antworten, Härteparolen und kalkulierter Polarisierung auftritt. Diese Diskrepanz hat mich beim Lesen immer wieder innehalten lassen. Ich suchte nach Andeutungen, nach frühen Schatten. Fand aber eher einen jungen Mann, der vieles infrage stellt, anstatt vorschnell zu urteilen. Genau dieser Kontrast irritiert mich bis heute.
Zugleich möchte ich eines betonen: Diese Ratlosigkeit schmälert nicht die Qualität des Buches. Im Gegenteil. Als Memoire funktioniert diese Elegy ausgesprochen gut. Sie ist präzise erzählt und strukturell stimmig. Vielleicht ist es gerade diese Diskrepanz, die mich nicht loslässt.