Reflexionen über Strafrecht und Gesellschaft
Thomas Fischer stellt in seinem Buch Facetten des Strafrechts vor und erläutert, wie der Rechtsstaat im Inneren funktioniert. Dabei steht die „Vermittlung von Sachkenntnis“ (8) im Fokus und nicht die Aufarbeitung von Justizskandalen. Es handelt sich um
ein aufklärendes aber auch kritisches Buch.
Im Vorwort setzt er sich ausführlich mit der Frage…mehrReflexionen über Strafrecht und Gesellschaft
Thomas Fischer stellt in seinem Buch Facetten des Strafrechts vor und erläutert, wie der Rechtsstaat im Inneren funktioniert. Dabei steht die „Vermittlung von Sachkenntnis“ (8) im Fokus und nicht die Aufarbeitung von Justizskandalen. Es handelt sich um ein aufklärendes aber auch kritisches Buch.
Im Vorwort setzt er sich ausführlich mit der Frage auseinander, ob er als Bundesrichter ein Buch über die „praktische Verwirklichung des Rechts“ (9) schreiben darf. Genau diese Perspektive macht das Buch interessant.
Fischer relativiert die Gefahren des islamisch geprägten Terrorismus. Damit setzt er einen Kontrapunkt gegenüber der in Deutschland gefühlten Gefahr durch islamistische Terroristen. Zudem sieht er den Auslöser für Konflikte nicht in den unterschiedlichen Religionen, sondern primär in der Verteilungsungerechtigkeit. (41)
Beim Thema Flüchtlingspolitik fordert der Autor die Leser heraus. Der Beitrag ist provozierend und extrem zynisch. Fischer geht mit der Realpolitik hart ins Gericht, mit seiner Zynik spiegelt er diese. Im Mittelmeer ertrinken jedes Jahr tausende von Flüchtlingen und die berechtigte Frage lautet, wer trägt die Verantwortung?
Fischer begründet, auch anhand der historischen Entwicklung, warum Blasphemie im Zeitalter der Aufklärung kein Straftatbestand sein kann. „Im irdischen Strafrecht geht es nicht um Gott, sondern um die Menschen.“ (104)
Auch hinsichtlich der Bewertung von Verletzungen der Ehre gilt heute ein anderer Maßstab. „Lange Zeit galt die Ehre als das neben dem Leben wichtigste Gut, ihre Verletzung infamer als Raub, Betrug, Diebstahl oder Körperverletzung.“ (117) Heute wird der Anzeigeerstatter von genervten Polizeibeamten nach Hause geschickt.
Fischer geht mit seiner eigenen Zunft, im Hinblick auf die NS-Zeit, hart ins Gericht. „Die deutsche Justiz, bis zum Bundesgerichtshof durchseucht von Nazis, hielt das Strafrecht aus der Aufarbeitung heraus, indem sie die überwältigende Anzahl der eigenhändigen Mörder kurzerhand zu Gehilfen der Haupttäter erklärte.“ (136)
Der Autor beschreibt im Zusammenhang mit Diebstahl und Raub einen gesetzlichen Wirrwarr, der zu unauflösbaren Widersprüchen führt und damit eine Entscheidungsfindung erschwert. Aufschlussreich ist, wie die Justiz mit derartigen Fallkonstellationen umgeht. Sie kommen einfach nicht mehr vor. (182)
Wie entsteht der Wirrwarr in den Gesetzen? Fischer erläutert theoretische Grundlagen der Gesetzgebung und der Anwendung von Gesetzen („Keine Strafe ohne Gesetz“ (195)) und erklärt das schwierige Verhältnis von Ministerialbeamten und Politikern.
Am Beispiel des Sexualstrafrechts erläutert Fischer, wie die Anhörung von Sachverständigen praktisch funktioniert. „Eine Sachverständigen-Anhörung in einem Ausschuss des Deutschen Bundestags hat mit kritischem Sachverstand bloß am Rande und mit objektiver Wissenschaft fast nichts zu tun.“ (204)
Wie wird man Jurist? Fischer plaudert aus dem Nähkästchen über das Studium, über „Erste Prüfung“ und „Zweite Staatsprüfung“ und warum Gespräche zwischen Juristen und anderen Berufsgruppen so schwierig sind. Dabei gilt, anders als in Philosophie und Physik, „Jura ist nicht ein Fach der Welt-Erkenntnis, sondern eines der Lebenswelt-Beherrschung.“ (243)
Thomas Fischer klärt nicht nur über juristische Fragestellungen auf, sondern er klärt weise auf. Der Leser muss nicht seine Meinung vertreten, es bedarf aber intensiver Auseinandersetzung mit den behandelten Themen, seinen Stellungnahmen etwas entgegen zu setzen. Es ist kein staubtrockenes dogmatisches Lehrbuch, sondern ein Buch, welches zu differenziertem Denken anregt. Im Fokus steht nicht das Strafrecht im engeren Sinne, sondern eher die Eingliederung des Rechts in Gesellschaft und Politik.