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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Leonhard Hieronymi lässt in seinem Romandebüt einen jungen Mann Schriftstellergräber besuchen
Der Clou am Prinzip der Ironie besteht bekanntlich darin, dass sie ermöglicht, etwas zu sagen und es zugleich nicht zu sagen - und auf diese Weise immerzu quecksilbrig davonhoppeln und schallend lachen zu können über jene, die glauben, einen soeben dingfest gemacht zu haben. Das galt schon für das Ironie-Konzept der literarischen Romantik, weshalb die Postmoderne ein besonderes Faible für diese Epoche und ihre poetologischen Überlegungen hatte. Irgendwann war dann naturgemäß auch die Postmoderne in die Jahre gekommen. "Irony ist over" wurde mithin einer der Slogans des Literaturzirkels "Tristesse Royale", der in den neunziger Jahren den deutschsprachigen Literaturbetrieb nicht umkrempelte, aber doch hier und da ein wenig kitzelte. Und natürlich waren Joachim Bessing, Christian Kracht, Benjamin von Stuckrad-Barre und Co. genau das: knallironisch und mit vermeintlicher Nichtangreifbarkeit ausstaffiert.
Was also tun, wenn auch diese Planstelle schon besetzt ist und seit der letzten zarten Avantgarde-Böe mehr als zwei Jahrzehnte vergangen sind? Die unter dem Label "Rich Kids of Literature" firmierenden Autoren, zu denen auch der 1987 geborene Leonhard Hieronymi zählt, machen es sich frappant leicht, indem sie in der Zurschaustellung von Coolness und Dandytum wie die jüngeren Geschwister von Kracht und Konsorten auftreten. Ist das nun genial oder eher putzig? Ironie sei Dank darf diese Frage offenbleiben. Ein bisschen komplizierter wird es schon, wenn man zudem mit einem Manifest zur "Ultraromantik" antritt, um die Gegenwartsliteratur zu retten. Mehr Wagnis, mehr Ekstase, mehr Stilisierung, lautet das Credo. Insofern hätte es eine gewisse Logik, wenn das eigene Schreiben an diesem Manifest gemessen würde.
Seinem Debüt "In zwangloser Gesellschaft" hat Leonhard Hieronymi passenderweise ein Zitat aus der Schlusssequenz von Christian Krachts "Faserland" vorangestellt: "Das kann doch einfach nicht wahr sein. Ich finde das blöde Grab von Thomas Mann nicht." Vielleicht war diese Szene zugleich Anregung für den Roman, in dem sich ein Ich-Erzähler, der etwa im Alter seines Verfassers sein dürfte, in Begleitung unterschiedlicher Freunde aufmacht, Grabstätten berühmter und weniger berühmter Schriftsteller und Schriftstellerinnen zu besuchen. Nachdenken will er dabei über die "Gegensätze von Verschwinden und Unsterblichkeit", sowie über die Frage, ob "das endgültige Verschwinden vielleicht eher ein Glück als ein Unglück" sei. Allerdings wird im Verlaufe des Romans nichts ersichtlich, was zur Beantwortung dieser Frage beitragen könnte.
Hieronymis mit mal mehr, mal weniger literaturgeschichtlichen Informationen über die Verstorbenen gespickte Reise von Friedhof zu Friedhof, zu den Ruhestätten Ovids, Arno Schmidts, Robert Gernhardts oder des legendären Heino Jaeger, ist weder Hagiographie noch Bilderstürmerei. Irgendwie findet der Erzähler diese Schriftsteller schon toll, irgendwie ist auch alles ein bisschen egal. Stattdessen trifft man, anlässlich etwa des Besuchs des Dorotheenstädtischen Friedhofs in Berlin-Mitte mit seiner hohen Literatendichte, auf Passagen wie diese: "Der seelen- und leidenschaftslos praktizierte Massentourismus in Europa ist eine der größten Sünden unserer Zeit, und ich ließ es die Touristen, auf deren Instagram-Accounts wahrscheinlich Sprüche wie ,Travel as much as you can!' standen, mit heftigen Zischlauten wissen. Niemand von diesen Menschen hatte eine ,Aufgabe', sie waren einfach nur da, sie waren mittelmäßig Existenzen."
Was den Erzähler von diesen Touristen unterscheidet, bleibt im Vagen, die Tragweite der Erkenntnis überschaubar und eher im Bereich pubertärer Verächtlichkeit. Oder wird hier womöglich Kulturkritik imitiert? Bloß: wozu? Um den eigenen Erzähler in seiner Beschränktheit und Selbstgerechtigkeit vorzuführen? Passend hierzu finden sich, wie nach dem Besuch des Grabs von Hans Henny Jahnn, Erkenntnisse wie jene: "Die Verschwülung der Welt würde kommen, ganz sicher - und hinter ihr steckte auf keinen Fall ein Zärtlichkeitsprinzip, im Gegenteil, sie war die größte Gefahr."
Oder Kalauer wie der folgende, als der Erzähler in Kreuzberg am Grab E.T.A. Hoffmanns auf einen Mann stößt, der wie eine "eingedeutsche Version von Orson Welles" aussieht, sich als Orgelsachverständiger ausgibt und als Kenner der Friedhofsgeschichte offenbart: ",Vielleicht noch eine Sache zu den historischen Hintergründen hier.' - ,Schießen Sie los', sagte ich. Marie verdrehte die Augen. - ,Genau, das ist das Stichwort. Sehen Sie dort drüben? Da, der große Grabstein mit den Einschusslöchern?'"
Soll das nun die angeblich mediokre Gegenwartsliteratur aufbrechen, in ästhetischer oder intellektueller, gesellschaftsanalytischer, humortechnischer Weise? Oder besteht die Ironie gerade darin, maximale Mittelmäßigkeit zu simulieren? Für alle, die diesen Kunstgriff nicht nachvollziehen könnten, reicht der Mehrwert des Romans leider kaum über den eines thematischen Reiseführers hinaus.
WIEBKE POROMBKA
Leonhard Hieronymi:
"In zwangloser Gesellschaft". Roman.
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2020. 240 S., geb., 24,- [Euro].
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