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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Arm soll das Kino sein: Bert Rebhandl über Leben und filmisches Werk von Jean-Luc Godard
Das Ende der Filmgeschichte kam mit ihrer Entdeckung. Chabrol, Rivette, Rohmer und Truffaut waren vorausgegangen, doch Jean-Luc Godards Langfilmdebüt "À bout du souffle" (1960) bezeichnet die Historisierung der Filmgeschichte. Die verstörende, "atemlose" Montage des Films soll ihren Grund darin haben, dass Godard fast eine Stunde Material aus dem Film habe nehmen müssen; doch das mussten auch andere vor ihm. Neu ist das Ende der Geschichten, des Glaubens an die Geschichten. Godard nennt sein Verfahren "refaire le cinéma", also eine Revision des Kinos: Das macht "À bout du souffle" zur Kritik des Kinos. Auf einmal sieht man die Welt durch das Kino, das die Welt betrachtet, als ein Ereignis des Apparats.
Die Nouvelle Vague wird als Durchsetzung des Autorenprinzips im Kino verstanden. Was Godard aber ins Kino brachte, ist ein neuer Blick auf das Kino, das unaufhaltsam seinem Ende zugeht. Godards Werk wird erst von seinem Ende her verständlich, vom Ende des Kinos, von den "Histoire(s) du cinéma" (1988 - 98). Während alle anderen sich noch als Teil der Filmgeschichte betrachteten, betrachtete er sie mit den Augen des Historiographen. "Fin du conte, fin du cinéma" heißt es am Ende von "Week End" (1967). Godard sagte später den "Cahiers du cinéma", deren Autor er gewesen war: "Eine Kamera, die sich in einem Spiegel filmt, wäre der ultimative Film." Am Anfang von "Le Mépris" (1963) drehte er die Kamera herum: Sie filmt den Film - oder die Gesellschaft. Die Schauwerte des Films, der Star Bardot allem voran, sind bereits Krisensymptome des Kinos.
So konnte man in Hollywood nicht landen. Bert Rebhandl, regelmäßiger Filmkritiker dieser Zeitung, berichtet in seiner Biographie zwar von Versuchen, dort Fuß zu fassen, "Bonnie and Clyde" aber machte am Ende ein anderer. Dass Godards Filme heute kaum noch im Kino zu sehen sind, hat er selbst vorhergesehen und bedacht. Seit nunmehr sechzig Jahren verfolgt er ein Projekt, das als mediengeschichtliche Konsequenz des Kinos die konsequente Aneignung der Produktionsmittel des Films proklamiert und für sich selbst auch reklamiert - als "armes" Kino.
Unter extremer Beschränkung Kino zu machen ist eine künstlerische, nicht nur handwerkliche Herausforderung. So interessierte sich Godard früh für Filmtechnik nicht als notwendiges Übel, sondern als Werkzeug der Unabhängigkeit. Er experimentierte mit 16 mm und kollektiven Arbeitsformen, mit Videotechnik und computergestützten Verfahren. "Le Mépris" ist ein Film über das Scheitern einer Liebe und zugleich ein Film über künstlerische Glaubwürdigkeit, die Frage, wie künstlerische Arbeit im Film überhaupt möglich ist. Es ging nicht um das Experiment, Filme anders zu machen, sondern um ein Kino, das man im Grunde allein machen kann. Das unterscheidet Godard von Truffaut, mit dem er sich lautstark überwarf.
Rebhandls Nüchternheit ist wohltuend. Bislang drohte jede Auseinandersetzung mit Godard zum Referat zu werden, weil die Filme ihren eigenen Diskurs mitliefern. Der Autor übergeht nicht die problematischen Seiten von Person und Künstler: in der Beziehung zu und der Darstellung von jungen Frauen, darunter auch seine minderjährige Stieftochter, oder seine antiisraelische Haltung. Rebhandl erwähnt ein Filmdokument aus dem Jahr 1969, in dem Godard eine Tafel mit dem Neologismus "Nazisrael" in die Kamera hält, Godards Vergleich zwischen der israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir und Hitler in "Ici et ailleurs" in den siebziger Jahren und auch "Notre musique" (2004), worin Godard nahelegt, die Palästinenser seien von Juden ins Meer getrieben wurden. Die Auseinandersetzung um Godards Haltung zu Israel erreichte in den Jahren nach "Notre musique" in Frankreich ihren Höhepunkt. Die Quellenlage ist unmissverständlich, variiert wird die revanchistische Erzählung, Juden seien selbst dafür verantwortlich, wenn man sie vernichten wolle.
Das Buch beschreibt die Entwicklung einer Künstlerpersönlichkeit vom Achtzehnjährigen, der am Abend bis zu vierzig Bücher aufschlug, von denen er nur Anfang und Ende las, bis hin zur einsamen Existenz am Genfer See, von der eine cinephile Gemeinde noch den auf Google Earth dokumentierten Spaziergang des Meisters beeindruckt zur Kenntnis nimmt. Godards Produktionsweise scheitert im Moment ihrer idealen Umsetzung, wenn sie Literatur am nächsten kommt. Ihr Autor kontrolliert seine Produktionsmittel, montiert aber nur noch Bilder. Das Schicksal jeder Kunst im Film ist heute wohl der Kunstbetrieb. In der Fondazione Prada in Mailand kann man Godards Atelier im schweizerischen Rolle als Reliquienkammer besichtigen.
LARS HENRIK GASS.
Bert Rebhandl: "Jean-Luc Godard".
Der permanente Revolutionär.
Zsolnay Verlag, Wien 2020. 288 S., Abb., geb., 25,- [Euro].
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