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Ein Debütroman über die unheimliche Macht der Kindheit Eine literarische Hommage an die Glühbirne Von der Autorin des Bestsellers "Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort.
Die Weltgeschichte der Lüge"
Traudl Büngers schönes Debüt "Lieblingskinder"
Natürlich ist er ein mündiger Bürger, aber was tut man, wenn der Vater einfach so verschwindet? Zumal es sich bei Rosalies Vater um ein ohnehin problematisches Exemplar handelt: Immer einer Verschwörung auf der Spur, darüber Buch führend und Aktenordner um Aktenordner füllend. Ob es um die Drosselung der Glühbirnenbrenndauer durch das weltweit operierende Glühbirnenkartell geht oder um die Züchtung des Aids-Virus durch die amerikanische Regierung als biologisches Kampfmittel. Überall wähnt Rosalies Vater eine gezielte Ablenkung der Menschen durch lancierte, falsche Mehrheitsmeinungen. Eine Manie, die ihm im Laufe der Zeit nicht nur Rosalie entfremdete, sondern auch Rosalies Mutter in die Verzweiflung und schließlich aus dem Haus trieb.
Nun ist er also spurlos verschwunden, der Vater, und vermutlich liegt die Lösung irgendwo in den zahllosen Aktenordnern begraben. Rosalie, mittlerweile Staatsanwältin, und der Nachbarssohn Tobias Ochsenmeyer, vor Jahren ihr heimlicher Verehrer, machen sich gemeinsam auf die Suche. Und kommen nicht umhin, auch dort zu fahnden, wo ihre gemeinsame Geschichte begann, in ihrer beider Kindheit. Als der Vater noch nicht der haltlose Spinner war, sondern der phantasievollste Schnitzeljagdausdenker der Welt. Als Tobias unter der Fuchtel seines Vaters litt und dieses unglaubliche Rennrad hatte und noch nicht im Rollstuhl saß. Als Rosalie noch Journalistin werden wollte, um die Verschwörungen aufzudecken, die die Mainstreammedien deckeln. Sie trifft auf eine "Rosalie, die glaubte, die Welt retten zu können, die Rosalie, die frei von Zynismus war und der es möglich gewesen ist, mehr als fünf Minuten mit ihrem Vater zu sprechen, ohne wütend oder traurig oder beides zu werden".
Und am Ende verrennt sich jeder, und der Vater ist nicht einmal der Schlimmste. Rosalies Schwester Lily ist kaum ernst zu nehmen, ihre Freundin Ella sieht die Welt durch die Brille des Feminismus, und Rosalie und Tobias glauben auch nur, was sie glauben wollen - aus Liebe. Zu einigermaßen objektiven Urteilen ist keiner fähig, nicht einmal die erfahrene Staatsanwältin, und womöglich ist das immer so, wenn es das eigene, engste Umfeld berührt. Vielleicht sieht man nur das scharf, was weit genug von einem entfernt ist.
Man muss Traudl Bünger bewundern für den Aufwand, den sie in ihrem Debütroman betreibt, für die unglaubliche Materialschlacht, in der sich ihre Protagonistin verirren kann, um am Ende dort hinauszukommen, wo alles begann. Sie hätte es sich einfacher machen können. Und gemeinsam mit Rosalie geht man den Verschwörungen auf den Leim und fahndet in dem Dickicht nach Spuren, die vielleicht zum Vater führen können. Denn wer viel vermutet, liegt vielleicht doch einmal richtig, denkt man, denkt Rosalie, nur zu bereit, seinen Theorien Glauben zu schenken. Und man ist ja auch nur zu bereit, sich der Autorin anzuvertrauen, die so wunderbar trocken diese Vater-Tochter-Geschichte erzählt und diese Tochter-Nachbarsjunge-Geschichte, die vielleicht noch wichtiger ist. Und die, das bliebe als einziges Manko anzukreiden, ein wenig zu ausgedacht endet, nur damit sie motivisch korrekt zu Ende geführt wird. Da knarrt es doch noch etwas im erzählerischen Gebälk des ansonsten wunderbaren Erstlings.
ANDREA DIENER
Traudl Bünger: "Lieblingskinder". Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012. 256 S., geb., 18,99 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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