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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Elisabeth Badinter über Maria Theresia und ihre Kinder
Sechzehn Geburten, dreizehn überlebende Kinder - und die Verantwortung für ein multinationales Großreich. Das war der Alltag von Kaiserin Maria Theresia, die von 1740 an von Wien aus das Heilige Römische Reich in der Mitte Europas regierte. Wie konnte sie diese Herkulesaufgaben bewältigen und Familie und Politik vereinbaren? Diesen Fragen geht die französische Philosophin, Historikerin und populäre Autorin Elisabeth Badinter in einem schmalen Buch nach.
Um zu rekonstruieren, welche Beziehungen die Kaiserin zu ihren Kindern hatte, hat Badinter eine große Zahl an Quellen studiert und sogar umfangreiche eigene Archivstudien betrieben, die in den Anmerkungen genau dokumentiert sind. Bei diesen Recherchen ist ein großer Schatz an eindrucksvollen Zitaten zusammengekommen, in denen Maria Theresia über ihre Kinder schreibt oder diese über sie schreiben. Da die Beteiligten kein Blatt vor den Mund nahmen, bietet das Buch eine kurzweilige und amüsante Lektüre.
Badinter beschreibt, wie Maria mit ihren erkrankten Kindern mitlitt, an ihrer Erziehung interessiert war und sich um sie sorgte. Auch wenn die Kaiserin nicht für alle dreizehn überlebenden Kinder gleich intensive Gefühle hegte, so waren die elf Mädchen und fünf Jungen doch ein ständiges Thema im Alltag.
Minutiös geht Badinter in den beiden Hauptkapiteln Kind für Kind durch und skizziert Episoden aus dem Umgang mit ihrer Mutter. Besonders deutlich zeigen die Zitate, wie hellsichtig Maria Theresia wie auch ihre Kinder, insbesondere die Töchter, mit dem Thema der Ehe umgingen. Einerseits wussten alle Beteiligten um die vorwiegend strategische Relevanz von Heiratsbeziehungen. Die Ehemänner der Mädchen wurden nach politischen Kriterien gewählt, das war auch bei der engagierten Mutter Maria Theresia nicht anders.
Doch zugleich zeigt das Buch, dass die Kaiserin sehr wohl um die seelische Gewalt wusste, die sie ihren Töchtern dabei unter Umständen antat. Sie wählte gezielt aus, welches Kind wohin verheiratet wurde, und zog dabei durchaus Faktoren wie mentale Robustheit und Charakteranlagen ins Kalkül. Einzelne Ehen wurden auch abgelehnt oder wenigstens verschoben, wenn die Passfähigkeit zu gering schien. Dass es dabei dennoch zu absehbar schwierigen Ehen kam, etwa bei Joseph, dem Thronerben, und seiner zweiten Frau, Josepha von Bayern, nahm auch die mitfühlende Mutter Maria Theresia im Zweifelsfall notgedrungen in Kauf.
Immer wieder führten die Rollen der fürsorgenden Mutter und der politisch agierenden Kaiserin in unauflösbare Konflikte. Wenigstens in Einzelfällen, wenn es gefahrlos möglich schien, konnte dabei durchaus die Mutterrolle siegen - ihrer Lieblingstochter Maria Christina etwa ermöglichte sie 1766 eine echte Liebesheirat mit dem nachgeborenen sächsischen Prinzen Albert.
Maria Theresia erscheint bei Badinter als eine Frau, die mit ihren Stärken wie Schwächen direkt zur Gegenwart spricht und um die rechte Work-Life-Balance ringt. Diese emphatische Aktualisierung einer wort- und meinungsstarken, dabei fürsorgenden und zerrissenen Person ist zwar sympathisch, lässt aber bisweilen historische Nuancierung vermissen. Fraglich ist, wie außergewöhnlich Maria Theresia tatsächlich war. Längst ist das alte Bild der Familiengeschichte überwunden, wonach Eltern der Vormoderne generell nur wenig Interesse am Leben und Schicksal ihrer Kinder gehabt hätten.
Keineswegs nur die Kaiserin trauerte tief, wenn Kleinkinder starben. Inszenierte sich die Kaiserin nicht auch ganz gezielt als Matriarchin und nutzte ihre Rolle als familienfürsorgende Mutter höchst kalkulierend zu politischen Zwecken? So eindrucksvoll Maria Theresias Mutterrolle durch Elisabeth Badinter belegt und so emphatisch die Kaiserin für ihre familiäre Seite gewürdigt wird: Man darf bezweifeln, ob die Herrscherin des achtzehnten Jahrhunderts so umstandslos als Beispiel für moderne Rollenkonflikte taugt. MARKUS FRIEDRICH
Elisabeth Badinter: "Macht und Ohnmacht einer Mutter". Kaiserin Maria Theresia und ihre Kinder.
A. d. Französischen von Stephanie Singh. Zsolnay Verlag, Wien 2023. 208 S., geb., 26,- Euro.
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