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Ein Buch über den Aufstieg Chinas - aber ohne die sicherheitspolitische Dimension
Die lange Zeit dominierende Frage, ob Chinas Aufstieg nachhaltig ist, ist für einige Beobachter angesichts der massiven innenpolitischen Herausforderungen für das Land zwar längst nicht final beantwortet. Dennoch wagen sie mit Blick auf die ungebrochene Dynamik seines Wirtschaftswachstums, die es längst zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt hinter den Vereinigten Staaten gemacht hat, die geopolitischen (Seidenstraßen-Initiative) und sicherheitspolitischen (Südchinesisches Meer, Ausbau der Marine) Ambitionen eine mehrheitlich günstige Erfolgsprognose für die weitere Entwicklung des Landes. China ist längst zum einzigen ernsthaften Herausforderer für Amerika um die globale Vorherrschaft avanciert und schickt sich heute an, das Mächtegleichgewicht im asiatisch-pazifischen Raum sukzessive zu seinen Gunsten zu verändern - mit massiven Konsequenzen für Amerikas bislang zentrale sicherheitspolitische Rolle in der Region und die Weltordnung insgesamt.
Die vorliegende, sehr informative und gut arrangierte Studie greift vor diesem Hintergrund die wohl am häufigsten gestellte und drängendste Frage nach dem Erfolg des chinesischen Modells auf und sieht im kapitalistischen Weltsystem insgesamt eine sich nur langsam vollziehende Machtverschiebung zugunsten des Landes stattfinden, die sich vor allem in den Produktions- und Finanzstrukturen, aber auch im Zugriff Chinas auf Ressourcen äußert. Nicht thematisiert wird hingegen die sicherheitspolitische Herausforderung durch Chinas Machtgebaren in den Grenz- und Inselkonflikten mit Anrainern im Südchinesischen und Japan im Ostchinesischen Meer sowie die damit verbundene militärische Aufrüstung des Landes.
Schmalz beschreibt zunächst, wie China seit 1978 vom globalen Kapitalismus amerikanischer Prägung profitierte. Unstrittig ist dabei, dass es seinen Aufstieg weit weniger seiner eigenen wirtschaftlichen Öffnung oder seinen Reformen verdankt als den offenen Märkten im OECD-Raum, allen voran in den Vereinigten Staaten. Auch dies sollte Anlass sein, im Westen darüber nachzudenken, wer der eigentliche Adressat im von Trump eingeleiteten Handelskrieg ist. Ebendie wirtschaftliche Freiheit in den Industrienationen hat über Jahrzehnte einen Aufstieg begünstigt, bei dem die Vorteile der eigenen Rückständigkeit in Form des niedrigen wirtschaftlichen Ausgangsniveaus, geringer Löhne und Pro-Kopf-Einkommen entsprechend zum Tragen kamen. Und noch heute zehrt China von diesen Vorteilen durch die Möglichkeit der Übernahme westlicher Technologien, Geschäftsmodelle und die Überführung von Arbeitskräften in produktivere Wirtschaftsbereiche. Verstärkt wurden diese Effekte nach Ansicht des Verfassers nach der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, von der China aufgrund seiner bis dato geringen Rolle auf den globalen Finanzmärkten (wegen des stark regulierten eigenen Finanzsektors und der fehlenden freien Konvertierbarkeit der chinesischen Währung Renminbi) praktisch unberührt blieb. So wurde es neben der Werkstatt der Welt, die bereits seit 2001 gewaltige Industriekapazitäten, Exportüberschüsse und einen Investitionsüberhang aufgebaut hatte, auch zunehmend zum regionalen Wachstumsmotor im asiatisch-pazifischen Raum; immer mehr Länder in der eigenen Nachbarschaft begannen nunmehr ihre eigenen Volkswirtschaften stärker an China auszurichten.
Wohltuend ist bei der Lektüre des Bandes die insgesamt nuancierte Analyse, wie sie vor allem in den beiden abschließenden Kapiteln deutlich wird. Bei allem Optimismus bezüglich der Entwicklung des Landes weist der Verfasser kritisch auf die Krisensymptome und die Schwierigkeiten beim Sprung von einer exportorientierten hin zu einer konsumierenden, von innovativen Technologien und Dienstleistungen geprägten Gesellschaft. Diese Transformation ist zwar im Gange, vollzieht sich aber bei weitem nicht reibungslos. Seit 2015/16 lasten Krisensymptome wie Überkapazitäten, Kapitalflucht und wachsende Verschuldung auf der chinesischen Wirtschaft. Verstärkt werden diese durch den Einbruch der ressourcenintensiven Industrien in Ländern in Südamerika, Subsaharaafrika und im Nahen Osten, aber auch Russlands. Dort hatte man seit der globalen Finanzkrise begonnen, Investitionen und Devisenreserven zunehmend vor allem nach China umzulenken, was die "Süd-Süd-Interaktionsbeziehungen" ansteigen ließ. Bis heute aber fehlen vor allem die strukturellen Voraussetzungen, um daraus ein annähernd funktionierendes Institutionengefüge entstehen zu lassen, welches diese Entwicklungen moderieren könnte.
An dieser Stelle weist Schmalz zu Recht auf die Vorzüge eines solchen sicherlich reformbedürftigen Ordnungssystems hin, wie es Amerika gemeinsam mit den Europäern über Jahrzehnte geformt hat. China versucht dieses durch Schaffung eigener Netzwerke zu konterkarieren und so Druck aufzubauen, um eine Reform der globalen Machtstrukturen zu bewirken. Die Idee, sich außenwirtschaftlich nunmehr verstärkt auf das Projekt einer neuen Seidenstraße zu konzentrieren, mit dem Peking eine koordinierte Investitionsstrategie in Eurasien verbindet, ist vor diesem Hintergrund zu sehen und dürfte weitreichende geopolitische Auswirkungen vor allem für Europa haben. Inwieweit diese Entwicklungen allerdings von Erfolg gekrönt sein werden, hängt maßgeblich davon ab, ob das Land in der Lage ist, alternative hegemoniale Strukturen aufzubauen. Seine Volkswirtschaft hat mittlerweile sicherlich eine vergleichbare Bedeutung wie die der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union. In den Bereichen Finanzen und Militär aber ist es nicht nur nach Einschätzung des Verfassers noch auf Jahrzehnte weit davon entfernt, das Weltsystem zu beherrschen und die Wachablösung Amerikas zu vollziehen. Ob dies gelingen wird, ist angesichts der großen, durch die wechselseitigen Abhängigkeiten verstärkten Krisenhaftigkeit des globalen Systems so wenig vorhersehbar wie die weiteren Entwicklungen in Amerika, Europa oder sonst wo auf der Welt. Fest steht nur, dass diese Abhängigkeiten kaum mehr eine Konstellation zulassen, da einer der beteiligten Akteure eine ähnlich exzeptionelle Stellung behaupten könnte, wie sie die Vereinigten Staaten nach 1945 innehatten. Vielmehr werden die Machtkämpfe der kommenden Jahre wohl eher zunehmen und die Stabilisierung der globalen Wirtschaftsregulierung erschweren.
STEFAN FRÖHLICH
Stefan Schmalz: Machtverschiebung im Weltsystem. Der Aufstieg Chinas und die große Krise.
Campus Verlag, Frankfurt 2018. 489 S., 39,95 [Euro].
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