1866. Anna Grigorjewna Snitkina ist eine moderne 20jährige, die in einer Zeit, wo es für eine Frau in erster Linie vorgesehen ist zu heiraten, und sich um Heim und Kinder zu kümmern, andere Pläne hat. Sie will selbstständig sein, ihr eigenes Geld verdienen, und belegt daher einen Kurs in
Stenografie. Sie ist so erfolgreich, dass ihr Lehrer sie dem bekannten Schriftsteller Fjodor Michailowitsch…mehr1866. Anna Grigorjewna Snitkina ist eine moderne 20jährige, die in einer Zeit, wo es für eine Frau in erster Linie vorgesehen ist zu heiraten, und sich um Heim und Kinder zu kümmern, andere Pläne hat. Sie will selbstständig sein, ihr eigenes Geld verdienen, und belegt daher einen Kurs in Stenografie. Sie ist so erfolgreich, dass ihr Lehrer sie dem bekannten Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski als Assistentin für seinen Roman „Der Spieler“ vorschlägt. Dostojewski ist durch den Tod seines Bruders in Geldnot geraten, und muss sein Werk dem Verlag innerhalb von nur vier Wochen vorlegen.
Während der Zusammenarbeit entwickelt sich eine starke Bindung zwischen Anna Grigorjewna und Fjodor Michailowitsch, die die junge Frau nicht zögern lässt, Dostojewskis Heiratsantrag trotz des Altersunterschieds, der Geldnöte und seiner Krankheit (Dostojewski leidet an Epilepsie und, damit verbunden, an Phasen von Schwermut und Gereiztheit) anzunehmen.
Vierzehn Jahre bis zu Dostojewskis Tod dauert diese Ehe, von der Anna Dostojewskaja in ihrem Buch „Mein Leben mit Fjodor Dostojewski“ berichtet. Natürlich muss man sich fragen, ob eine liebende Ehefrau, die ihren Mann (auch nach eigenen Angaben) geradezu vergöttert, die richtige Person ist, ein naturgetreues Bild dieses Menschen abzubilden. Denn tatsächlich ist das ganze Werk eine einzige Hymne, in der Dostojewski nicht nur als genialer Schriftsteller, sondern auch als großzügiger, mitfühlender Mensch und liebevoller Vater und Gatte geradezu in den Himmel gehoben wird. Seine weniger angenehmen Seiten, der Jähzorn, die Spielsucht, die unbändige Eifersucht, mit der er seine Frau einige Male in aller Öffentlichkeit in peinliche Situationen bringt, werden zwar erwähnt, aber eher als liebenswerte Marotten abgetan. Das ganze Buch strahlt Annas Zuneigung und Ergebenheit zu dem Mann aus, um den sich ihr ganzes Leben dreht.
Anna Dostojewskaja hat ihren Mann um 38 Jahre überlebt und ihre Erinnerungen erst kurz vor ihrem eigenen Tod abgeschlossen. Literarisch betrachtet ist die Lektüre kein großartiges Erlebnis. Für jemanden, der nicht nur Jahre an der Seite einer der größten russischen Schriftsteller verbracht, sondern dessen Werk auch wieder und wieder abgeschrieben und später auch verlegt hat, ist ihr Stil erstaunlich laienhaft. Aber das spielt keine Rolle. Was das Buch so liebenswert und lesenswert macht, ist die Nähe zu Dostojewski, die kein anderer Biograf erreichen könnte. Es sind die kleinen Anekdoten, die Beschreibungen von Eigenheiten in Gestik und Mimik, die Erwähnung von Gegenständen des Alltags, die einen ganz nahe heranbringen an Zeit und Geschehen.
Anna Grigorjewna ist die sprichwörtliche starke Frau hinter dem erfolgreichen Mann. Sie ist intelligent, hat einen hervorragenden Geschäftssinn und Mut für neue Wege. Sie hält ihrem Mann nicht nur den Rücken frei, sie bereitet ihm auch den Weg. Es ist diese Mischung aus treuer Hausfrau und beinahe schon Managerin des Erfolgsautors, der sie zu einem interessanten Charakter macht.
„Mein Leben mit Fjodor Dostojewski“ ist sicher kein Buch, das, für sich alleine genommen, dem Leser einen kompletten Überblick über das Leben des großen russischen Schriftsteller vermitteln kann. Dazu ist die Autorin nicht nur zu parteiisch, sondern setzt auch einiges an Vorwissen voraus. Aber als Ergänzung, als berührendes Detail, kann ich diese Erinnerungen jedem Interessierten ans Herz legen.