Gerald Grosz bietet in diesem lesenswerten Buch ein Stimmungsbild der politischen und kulturellen Erschütterungen in Deutschland und Europa seit dem berühmten Merkel-Satz „Wir schaffen das“ vom August 2015. Ausgehend von diesem Moment, den der Autor als Zäsur begreift, wird die Reaktion der Politik,
der Medien und der Gesellschaft auf die massive Fluchtbewegung und Migrationskrise als historische…mehrGerald Grosz bietet in diesem lesenswerten Buch ein Stimmungsbild der politischen und kulturellen Erschütterungen in Deutschland und Europa seit dem berühmten Merkel-Satz „Wir schaffen das“ vom August 2015. Ausgehend von diesem Moment, den der Autor als Zäsur begreift, wird die Reaktion der Politik, der Medien und der Gesellschaft auf die massive Fluchtbewegung und Migrationskrise als historische Wende beschrieben—und als Ausgangspunkt einer tiefen Spaltung und Vertrauenskrise.
Das Buch schildert, wie Angela Merkel mit ihrem Satz die Integrationsdebatte und die Willkommenskultur einläutete. Aus Sicht des Autors wurde damit eine restriktivere Migrationspolitik einfach aufgegeben; die Entscheidung wird als einsamer Führungsakt interpretiert, dessen Auswirkungen bis heute spürbar sind: Institutionelles Multiorganversagen nennt es der Autor mit Rechtsbrüchen und einer Auflösung langjähriger Gewissheiten. Die Analyse umfasst nicht nur die deutschen Verhältnisse, sondern bezieht explizit die europäischen Nachbarländer mit ein: Der Satz steht als Damoklesschwert über Deutschland und Österreich und ist zum Symbol einer „aus den Rudern geratenen Asylpolitik“ geworden.
Der historische Rückblick weitet sich aber ganz wesentlich auch auf die Rolle des Westens im Arabischen Frühling: Der Versuch, Werte wie Demokratie und Menschenrechte mit moralischem Sendungsbewusstsein in den Nahen Osten zu exportieren, ist für den Autor gescheitert und mündete nicht in Stabilität, sondern in Rechtlosigkeit, Gewalt und anhaltende Migrationsbewegungen. Die Rede von Obama an die arabische Jugend in Kairo muss im Nachhinein als ahnungsloses Hoffnungsgeplapper eingeordnet werden.
Die politischen und medialen Unterstützer dieser amerikanischen und europäischen Politik werden als „moralisch abgewirtschaftete Elite“ angegriffen; parallele geopolitische Fehler der USA werden ebenso kritisch eingeordnet.
Die gesellschaftlichen Folgen für Deutschland sind der eigentliche Fokus von Gerald Grosz: Die Debatte um Migration wurde durch den Satz „Wir schaffen das“ zugespitzt und medial polarisiert. En tiefer Riss zog sich durch Familien und Gesellschaft. Die Spaltung bleibt bis heute bestehen, weil die Politik sich nach Ansicht des Autors nie grundlegend geändert hat, sondern die Weichen weiterhin auf Zuwanderung stellt, mit enormen Auswirkungen auf Sozialsysteme, Bildung und kulturelle Identität.
Es werden zentrale Fragen erörtert: Wer trägt die Verantwortung, wer sind die Opfer? Wie sind die langfristigen Folgen für Gesellschaft und kommende Generationen einzuschätzen? Gerald Grosz kommt zu einer sehr pessimistischen Einschätzung insgesamt, die mit der Klammer „Untergang“ umfasst wird. Dabei werden die Ereignisse und Folgen sachlich vermittelt.
„Denn die EU fungierte als Helfershelfer von Merkel, sie ist bis heute nicht in der Lage, die Grenzen wirksam zu schützen bzw. Illegale Einwanderung zu unterbinden.“ Die Lockerung äußerer Grenzen hat zu inneren Mauern der Gesellschaft geführt, die heute härter und höher gezogen werden. Der Ausblick im Buch ist düster, wir lesen hier vor allem auch Aussagen von Opfern. Michael Kyrath, der Vater eines getöteten Opfers, sagt, dass es gefährlich sei, die Moral über die Vernunft zu stellen. Die Stimmen von Opfer-Angehörigen sind es vor allem, die man in vielen Medien vermisst, Gerald Grosz aber gibt ihnen eine Stimme.
Die Schlussfolgerung des Buches: Europa hat sich abgeschafft. Wir sind verloren! Fast! Es ist fast zu spät, die Entwicklung ist zumindest für Länder wie Österreich, Frankreich und Deutschland nahezu irreversibel. Wenn sich etwas ändern soll, müssen korrigierende Maßnahmen schnellstens erfolgen.
Der zweite Teil des Buches vermittelt das Tagebuch von Gerald Grosz bzw. seine Anmerkungen zu den Ereignissen in den einzelnen Jahren. Ebenso lesenswert und geradezu hellsichtig geschrieben.