Schade, dass der englische Untertitel bei der deutschen Ausgabe weggelassen wurde: "A Natural History". In diesem Untertitel wird die Zielsetzung nämlich sofort klar: es geht nicht um eine Aneinanderreihung von einzelnen Stadtgeschichten, sondern der Autor begreift Stadtgründungen als Teil der
menschlichen Evolution in dem Sinn, dass das Leben in einer Stadt den Eigenschaften der Spezies Mensch…mehrSchade, dass der englische Untertitel bei der deutschen Ausgabe weggelassen wurde: "A Natural History". In diesem Untertitel wird die Zielsetzung nämlich sofort klar: es geht nicht um eine Aneinanderreihung von einzelnen Stadtgeschichten, sondern der Autor begreift Stadtgründungen als Teil der menschlichen Evolution in dem Sinn, dass das Leben in einer Stadt den Eigenschaften der Spezies Mensch entspricht und dass es Vorteile für ihn haben muss. Dazu verwebt der Autor die Humanwissenschaften mit Biologie, Ökologie, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, aber auch mit Archäologie und Literaturgeschichte – ein ausgesprochen origineller Ansatz, der sich zudem als zielführend und sehr umfassend erweist.
Der Autor nimmt seinen Leser mit auf einen Parforceritt durch die antike Geschichte, der keine Sekunde langweilig ist und immer wieder den Bogen zur Gegenwart schlägt.
Er beginnt naturgemäß aufgrund der Quellenlage bei Uruk, wo der Übergang vom Dorfleben zum Urbanismus erstmals belegt werden kann; er verweist aber sachgerecht auf die jüngeren Ausgrabungen bei Tell Brak in Syrien, einer vermutlich noch älteren städtischen Siedlung, deren Ergebnisse abzuwarten sind. Der Autor macht dem Leser sofort klar, dass die Gründung Uruks und auch der anderen antiken Städte nicht das Ergebnis eines planvollen Handelns war, sondern eher das zufällige Ergebnis vieler Versuche, weil der Mensch offenbar ein urbanes Potential hat. Nur die geglückten Versuche können erforscht werden, während die missglückten ins Dunkel der Geschichte zurückfallen. Diese Versuche der bäuerlichen Dorfgemeinschaften, ihr Zusammenleben mit größerer Komplexität zu gestalten, fanden in langen Zeiträumen statt.
Und vom Fruchtbaren Halbmond aus reist der Leser nun weiter durch die Geschichte. Nach einem kurzen Blick auf den Urbanismus ca. 3000 v. Chr. im Niltal, im Industal und in Nordchina und auf die jüngeren Städte im heutigen Mexiko und Peru konzentriert sich der Autor auf den mittelmeerischen Raum. Mancher wird sich wundern, wie klein die griechischen poleis waren. Faszinierend ist die Bedeutung der Erfindung des Segels, die für schnellere Transportwege und einen größeren Austausch sorgte und damit die Vernetzung der Städte vorantrieb und festigte. Die Reise endet bei den Megalopoleis, allen voran Rom.
In jedem der vielen Kapitel bietet Woolf spannende und informative Unterhaltung. Ob das die Zusammenbrüche einiger Städte waren, die Bedeutung der Monumentalbauweise, die vielen Migrationsbewegungen aufgrund unterschiedlicher Ursachen, die beeindruckenden Urbanismen der Bronzezeit, die Bedeutung der Schrift, die Bedeutung des Eisens und anderer Metalle, die Gefahren des urbanen Lebens, die Bedeutung der Nekropolen, Bauweisen, Baumaterialien, die Organisation in Stadtstaaten und Imperien, Gründungsmythen, Kolonisierungen etc. - jedes Kapitel ist ein spannender Blick in eine vergangene Zeit.
Immer aber hat der Autor den Menschen im Blick. Es ist die Neigung des Menschen zum Zusammenleben und zum problemlösenden Denken, aber auch die Tatsache, dass er ein „Allesfresser“ ist, die ihn in den Urbanismus führten.
Ein umfassend durchdachtes Buch, lesbar für Fachleute (vgl. 47 Seiten Literaturhinweise) und für Laien, immer verständlich, ungemein kenntnisreich und spannend zu lesen.