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Die Ministerpräsidenten: "Fürstenspiegel" einer Funktionselite
Herbert Schneider: Ministerpräsidenten. Profil eines politischen Amtes im deutschen Föderalismus. Unter Mitarbeit von Michael Haus, Steffanie Richter und Klaus Schrode. Verlag Leske + Budrich, Opladen 2001. 434 Seiten, 72,- Mark.
Die "nationale politische Funktionselite" der Ministerpräsidenten ist von der Föderalismus- wie von der Elitenforschung bisher vernachlässigt worden. Immerhin amtierten beziehungsweise amtieren seit 1945 in den von den vier Besatzungsmächten errichteten neuen Ländern 113 Politiker, von denen 48 "noch am Leben sind"; einbezogen sind bis 1952 und ab 1990 auch die Ministerpräsidenten der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise der DDR.
Die Frauenquote ist verschwindend gering: Louise Schroeder (Bürgermeisterin in Berlin 1947 bis 1949) und Heide Simonis. Die längste Amtszeit erreichten Peter Altmeier (Rheinland-Pfalz) mit 22 Jahren, gefolgt von Bernhard Vogel (bisher 21 Jahre), Franz Josef Röder (Saarland) und Johannes Rau (Nordrhein-Westfalen) mit jeweils 20 Jahren. Wieweit eine "allzu lange Verweildauer" in diesem politischen Spitzenamt zu "Abnutzungs-, Ermüdungs- und Entfremdungserscheinungen" und Realitätsverlust führen kann, lassen die Verfasser offen.
Ihre Aufmerksamkeit gilt der Stellung und dem Einfluß, der Rekrutierung und den Aufgaben, der regionalen und sozialen Herkunft und dem Selbstverständnis, dem Führungsstil und schließlich der Rolle der Regierungschefs auf der Landes-, Bundes- und Europaebene. Einbezogen ist aus gutem Grund auch die "Zuarbeit" durch die jeweiligen Staatskanzleien als "Vorhöfen der Macht" - in diesem Falle allerdings weitgehend von persönlichen Auskünften ehemaliger dort tätiger Leiter oder Mitarbeiter abhängig.
Herbert Schneider und seine Mitarbeiter nutzen eine erstaunlich reich sprudelnde Quelle, nämlich Fragebogen beziehungsweise Interviews, die die meisten der amtierenden wie einige inzwischen "außer Dienst" befindliche Ministerpräsidenten offensichtlich bereitwillig beigesteuert haben. Das allerdings geschah mit erkennbarer Zielrichtung auf eher "staatsmännische" als parteipolitische Akzentuierung. Ohnehin hat das landesväterliche Rollenverständnis der Regierungschefs an Bedeutung gewonnen. Das Ergebnis des sorgfältig ausgewerteten und an systematischen Fragestellungen ausgerichteten empirischen Materials ist ein moderner "Fürstenspiegel". Dabei ist jeder Versuch vermieden, nach Art eines modischen "Rankings" Wertungen zwischen den Länderchefs vorzunehmen. Eher überrascht, daß zwei für die Persönlichkeitsbildung wie für die Amtsführung und Repräsentation auch von Ministerpräsidenten nicht unwichtige Kriterien außer Betracht geblieben sind: die etwaige religiöse Formung und das jeweilige familiäre Umfeld.
Die Darstellung ist mit Zahlen und Daten belegt, mit Prozentsätzen und insgesamt 28 Tabellen gespickt, gleichwohl aber gut lesbar, trotz mancher Wiederholungen und Überschneidungen als Folge der systematisch untergliederten Kapitel. Als Beispiel für unterschiedliche "Führungsstilvarianten" werden drei personalisiert: "politische Führung durch Integration" (Johannes Rau), "Macher, Populist, Grundsatzpolitiker" (Edmund Stoiber) und "der präsidiale Regierungschef" (Kurt Biedenkopf). Hingegen sind die spärlichen Ausblicke auf ausländische Beispiele - Österreich (Landeshauptleute), die Schweiz (Kantonalpräsidenten) und die Vereinigten Staaten (Gouverneure) - angesichts des jeweils anderen Hintergrunds der Verfassungslage und der politischen Kultur wenig erhellend.
Die Regierungschefs der Länder hat einer von ihnen, Heinz Kühn (Nordrhein-Westfalen), 1971 einmal als "Landesväter und Parteisöhne zugleich" bezeichnet. In der Auswertung des über sie zusammengetragenen Materials erinnern die Verfasser daran, daß nicht die Parlamente oder die Parteibürokratien, sondern vielmehr die in ihren Ländern durch aufsehenerregende Wahlsiege und durch "medienrelevante Aktivitäten in der Bundespolitik" empfohlenen Ministerpräsidenten bislang die "wichtigste Rekrutierungselite" für Kanzlerkandidaten darstellten.
RUDOLF MORSEY
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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