Dieser Roman hat mich sehr beeindruckt und berührt. Maria Turtschaninoff war bislang für ihre Jugendbücher bekannt, "Moorhöhe" ist nun der erste Roman für Erwachsene. Turtschaninoff gehört der schwedisch-sprachigen Minderheit in Finnland an, das Buch spielt dann auch in Österbotten, von wo aus man
Schweden vermutlich sogar sieht.
Auf knapp 450 Seiten spinnt Turtschaninoff darin die Geschichte…mehrDieser Roman hat mich sehr beeindruckt und berührt. Maria Turtschaninoff war bislang für ihre Jugendbücher bekannt, "Moorhöhe" ist nun der erste Roman für Erwachsene. Turtschaninoff gehört der schwedisch-sprachigen Minderheit in Finnland an, das Buch spielt dann auch in Österbotten, von wo aus man Schweden vermutlich sogar sieht.
Auf knapp 450 Seiten spinnt Turtschaninoff darin die Geschichte eines Hofs in Nordfinnland, die vom 17. bis ins 21. Jahrhundert andauert. Nevabacka, übersetzt "Moorhöhe", heißt dieser Hof, der in Wald- und Moorlandschaften eingebettet ist. Episodenhaft blickt die Autorin auf die verschiedenen Bewohnerinnen dieses Gehöfts und verknüpft die Geschichten auf wunderbare Weise miteinander. Obwohl die Zeit recht zügig voranschreitet, erfährt man als Leser immer, was mit den Figuren der vorherigen Kapitel passiert ist. Man muss dabei allerdings ein wenig aufpassen, nicht den Überblick zu verlieren.
Man kann aber auch einfach genießen: die unglaublich bildhafte Sprache, die voller Liebe und Poesie die Tiere und Menschen des Waldes beschreibt, die wunderbar entschleunigenden Geschichten, die einen den Alltag vergessen lassen, die Warmherzigkeit und Empathie der Autorin für ihre Figuren und für die Natur.
Ein umfassendes Thema ist die Liebe - und zwar nicht nur unter den Figuren, sondern auch die Liebe zum Wald, aber tatsächlich auch die Liebe, die der Wald den Menschen zurückgibt. Manchmal sogar im wahrsten Sinne des Wortes, denn gerade im 17. und 18. Jahrhundert gibt es durchaus überraschende Waldbewohnerinnen, bei denen die Leserin zumindest ein kleines Maß an Fantastik akzeptieren sollte.
"Moorhöhe" zeigt dadurch auch fast nebenbei auf, wie sich andere Themen entwickeln, wie sich die Menschheit als Ganzes entwickelt. Die Unterscheidung zwischen Naturglauben und christlichen Glauben als eines der zentralen Themen zu Beginn, später das Streben nach Bildung und Wissenschaft, die gesellschaftliche Akzeptanz von Frauen. Nicht nur deshalb nimmt Turtschaninoff vornehmlich die Perspektiven von Frauen und Kindern ein.
Unbedingt erwähnenswert ist zudem die formale Originalität. Turtschaninoff baut zu Beginn und ganz am Ende des Buches Versformen ein, zwischendrin gibt es neben erzählerischer Prosa auch Tagebucheinträge, Briefe und im Kapitel "Brot und Stein" ein an die Dramatik erinnerndes Experiment, in dem positive und negative Erlebnisse der Hauptfigur abwechselnd gegenübergestellt werden. Dennoch wirkt alles wie aus einem Guss, weil Nevabacka als verbindendes Element stets im Vordergrund steht.
Insgesamt erinnert "Moorhöhe" thematisch und formal ein wenig an die starken Momente in Daniel Masons "Oben in den Wäldern", ohne allerdings jemals ins Komische oder Groteske abzudriften. Neben dem tollen Cover ist noch hervorzuheben, dass sich der Verlag auch bei der Gestaltung richtig viel Mühe gegeben hat. Den einzelnen Jahrhunderten sind kurze Texte skandinavischer Dichter vorangestellt und bilden eine liebevolle Einheit mit Zeichnungen verschiedener Pflanzen aus dem Wald und aus dem Moor.
Erschienen ist "Moorhöhe" in der großartigen deutschen Übersetzung aus dem Schwedischen von Ulla Ackermann bei Rowohlt Kindler. Für mich ist es eines der schönsten Bücher, das ich in den letzten Jahren lesen durfte.