Theresa lebt ein ganz normales deutsches Großstadtleben. Ihre neue Beziehung mit Erk fühlt sich gut an, die Bürogemeinschaft auch okay und Kinder sind nichts, was sie im Jetzt in Erwägung zieht. Oder doch? Sie nimmt Folsäure ein, geht zur Frauenärztin und in einer Mittagspause der Schock, die
Verwirrung, zwei Striche, schwanger. Wenn ich Mutter bin, denkt Theresa, stillen, nein, Erk und ich werden…mehrTheresa lebt ein ganz normales deutsches Großstadtleben. Ihre neue Beziehung mit Erk fühlt sich gut an, die Bürogemeinschaft auch okay und Kinder sind nichts, was sie im Jetzt in Erwägung zieht. Oder doch? Sie nimmt Folsäure ein, geht zur Frauenärztin und in einer Mittagspause der Schock, die Verwirrung, zwei Striche, schwanger. Wenn ich Mutter bin, denkt Theresa, stillen, nein, Erk und ich werden die Care-Arbeit teilen. Ich werde nicht abtauchen, wie Isabell mir schon jetzt vorwirft. Ich werde mich im Beruf nicht zerreißen. Ich werde kein großes Ding um Schwangerschaft und Geburt machen, ins Krankenhaus gehen, wird schon klappen. Ich werde zurecht kommen mit der Mutter von Erk, die Mikroaggressionen verteilt. Wie meine Mutter, nein, nein, nein. Theresa ahnt, dass ein Zuviel auf sie einströmen wird.
MTTR, gegenwärtig in Konsonantenschrift, wir verstehen es sofort. Nein, es ist die Abkürzung für Mean Time to Recover | Repair aus der Systemsprache, so leitet die Autorin den Roman ein. Sie stößt uns gleich darauf, dass es ihr nicht nur darum geht, die Geschichte einer Mutterwerdung zu erzählen, sondern auch um das Erbe einer nationalsozialistisch geprägten Erziehung. Theresa kommt aus einer normalen nicht-normalen westdeutschen Familie. Ihre Mutter, Königin der kleinbürgerlichen Abschottung, zeigt sich im Außen akkurat, kontrolliert, sich abhebend von vermeintlich "Assozialen" und "Ausländerkindern". Im Innen erlebt Theresa sie kalt, distanziert, kritisierend und gemeinsam mit dem Vater Gewalt ausübend. Friese streut immer wieder Gedanken ein zum nationalsozialistischen Erbe, zu einer wenig belichteten Fortführung autoritärer, zur Anpassung und Entsolidarisierung führender Erziehung. Es mag daran liegen, dass ich mich nicht als Teil dieses implizierten "Wirs mit unseren Eltern" empfinden kann, dass mich diese Ebene nicht am meisten überzeugte. Viel überzeugender war MTTR in der direkten, detailreichen und schonungslosen Transformation zum Muttersein, in der alles zuviel ist, in der alle reinreden und reinhandeln. Friese kann nicht nur Journalismus, ein beeindruckendes Debüt.