»Mutter kann neun Sprachen, aber redet mit niemandem mehr.
Manchmal spricht sie mit der Zentralheizung, den Bäumen und dem Brot, beschimpft ihre Zähne oder das Radio. Ansonsten schweigt Mutter. Sie hat zu wenig Stimme.« |5
Das Haus verfällt, das Dach ist undicht, die Rohre sind schwach wie
Mutters Zähne. Mutter schweigt, sie hat das Radio, ihre Pflanzen, ihre Gedanken, den Garten und den…mehr»Mutter kann neun Sprachen, aber redet mit niemandem mehr.
Manchmal spricht sie mit der Zentralheizung, den Bäumen und dem Brot, beschimpft ihre Zähne oder das Radio. Ansonsten schweigt Mutter. Sie hat zu wenig Stimme.« |5
Das Haus verfällt, das Dach ist undicht, die Rohre sind schwach wie Mutters Zähne. Mutter schweigt, sie hat das Radio, ihre Pflanzen, ihre Gedanken, den Garten und den Heizungskeller. Als die Heizung nicht mehr geht, die Rohre platzen, zieht sie weg, das Haus ist eh zu groß, sie liebte es nie. Dort wo sie nun ist, hat sie kein Telefon, keine Badewanne, die Telefonzelle und das öffentliche Schwimmbad gehen auch. Mutter treibt durchs Leben, einsam? Es scheint so nicht. Sie macht einfach und schert sich nur um sich.
»Mutters Stimmbruch« hat mir heitere und gehaltvolle Lesestunden beschert. Mit meinem Außenblick sah ich eine verwirrte alte Frau, die Handwerkern ihre Arbeit verunmöglicht, die stürzt, die Telefonstreiche macht, sich im Schwimmbad entblößt, die sich manchmal auch unheimlich und obszön geriert. Luftig und melodiös las sich »Mutters Stimmbruch« und ließ mich lächelnd auf das Thema Altern von Angehörigen und mir selbst blicken, was guttat angesichts des ganzen Dunstes der Schwere, die das Thema Altern und Pflegebedürftigkeit umgibt. Daher leg ich es besonders jenen Menschen ans Herz, die dieses Thema derzeit umgibt, aber auch Menschen, die schräge Figuren, das Absurde und eine klingend-beschwingte Sprache lieben.