Wenn dir Radio Sarajevo von Tijan Sila gefallen hat, dann ist vielleicht auch NACHTGÄSTE etwas für dich. 30 Jahre ist es her, dass der Krieg in Bosnien beendet wurde, die Belagerung von Sarajevo, die mit 1425 Tagen als die längste Belagerung einer Stadt im 20.Jahrhundert in die Geschichte
eingegangen ist, dauerte sogar offiziell bis zum 29. Februar 1996. Nenad Veličković ist mit NACHTGÄSTE so nahe…mehrWenn dir Radio Sarajevo von Tijan Sila gefallen hat, dann ist vielleicht auch NACHTGÄSTE etwas für dich. 30 Jahre ist es her, dass der Krieg in Bosnien beendet wurde, die Belagerung von Sarajevo, die mit 1425 Tagen als die längste Belagerung einer Stadt im 20.Jahrhundert in die Geschichte eingegangen ist, dauerte sogar offiziell bis zum 29. Februar 1996. Nenad Veličković ist mit NACHTGÄSTE so nahe dran, wie es nur möglich ist, schrieb der Sarajevoer sein Debüt doch in der Zeit der Belagerung und veröffentliche es auch sofort. 1997 erschien es in der Übersetzung von Barbara Antkowiak in dem DDR-Verlag Volk und Welt, der 2000 im Luchterhand Verlag aufging. Zum 30. Jahrestag des Daytoner Friedensabkommens, legt der österreichische Verlag Jung & Jung den Klassiker der Bosnischen Kriegsliteratur noch einmal auf.
Keine Angst vor der Lektüre, natürlich ist Krieg und Belagerung düster, doch balanciert Veličković die Schrecken des Krieges mit Humor, Absurditäten, Liebe und einem offen-naiv-entlarvenden Blick einer 18jährigen aus.
Maja hat sich vorgenommen ein Buch zu schreiben, oder Tagebuch, nein es soll ein Buch, ein richtiger Roman werden. Ihr Vater ist Museumsdirektor, ein Intellektueller, und ihre Mama liebt die Esoterik, vegetarische Experimente, Yoga, Vorhersagen und alle anderen um sich herum. Majas Halbbruder Davor, dessen Vater in Belgrad lebt, erwartet mit seiner leidenden Sanja ein Kind und sein Dalmatiner Sniffi folgt ihm überall hin. Oma ist Jüdin, sie sieht sehr viel älter aus, als sie ist, benimmt sich aber um so jünger, ihr geheim gehütetes Köfferchen macht alle vor Neugier wahnsinnig, bald wird sie bestimmt ihr Leben aushauchen. Als die Belagerung beginnt, werden die Stadtviertel abgesperrt und aufgeteilt, den Kontakt zu ihren Freundinnen verliert Maja, auch ihren serbischen Lehrer kann sie nichts mehr fragen, die Telefone sind tot, auf die andere Seite oder gar raus kommt niemand mehr ohne Geld oder Connections. Da das Museum einen Keller hat, ziehen sie alle ins Museum.
... (1|2) Der Pförtner Brčko und sein Freund Julio bekommen auch Platz, während draußen die Granaten fliegen, serbische Paramilitärs aus den Bergen um Sarajevo ins Tal auf alle schießen, die auf der falschen Seite gelandet sind, die Lebensmittel rationiert werden und eine unübersichtliche Mangel- ubd Tauschwirtschaft entsteht.
Wer was ist und warum gekämpft wird, versucht Maja zu verstehen und kommt den Gerüchten und Erklärungen nicht hinterher. Der Haufen im Museum widersetzt sich auch Gewissheiten und eindeutigen neuen Identitäten, ganz anders als die ebenfalls geflüchtete und ihre Religion neuentdeckende Fata mit ihrem Junez, die Maja aufgrund ihres Eifers und ihrer Neugier Mrs. Flintstone nennt. Während Davor vorspielt, weiter beim Radio zu arbeiten, steigt Junez in den Brigaden auf und irgendwann Davor aufs Dach, dass er kämpfen soll. Brčko und Julio schlawinern sich während dessen durch, bringen allerhand, doch bevor es genutzt werden kann, ist es schon wieder weitergetauscht. Was wohl in Omas Köfferchen ist? Wird das Baby auf die Welt kommen? Schaffen es Brčko und Julio, in einem selbstgenähten Heizluftballon aus Sarajevo fliehen? Oder Davor zu seinem Vater nach Belgrad irgendwie mit Hilfe der UNPROFOR? Kommt Sanja mit? Kann Mama ihre vegetarische Kost durchhalten und die anderen von Seitan und Algen überzeugen? Und die wichtigste Frage, wird Maja es schaffen, einen Roman zu schreiben?
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... (2|2) Auch wenn vieles heiter im Buch ist, macht es sich nirgends lustig. NACHTGÄSTE zeigt eher, wie Normalitäten sich verschieben, wie der Horror eines Krieges in den Alltag einkehrt und wie Menschen in ihrem Überlebenswillen phantasievoll und erfinderisch werden. Die gleichbleibende Spannung und der Versuch aus ihr mit spektakulären Ausbrüchen zu entfliehen mit der gleichzeitigen Angst vor einem herunterfallen aus der Ballance, spiegelt die sich ziehende Belagerungssituation. Ihre Auswirkungen auf individueller und gesellschaftlicher Ebebe deuten sich zwar schon an, können aber noch nicht vorweg genommen werden. NACHTGÄSTE ist sehr lesenswert trotz kleiner gramatikalischer Umständlichkeiten und Schreibweisen in der Übersetzung, die den Lesefluss aber nicht störten.