Torsten Harmsen (Jahrgang 1961) verarbeitet in seinem 2025 erschienenen Buch die Lebenswege zweier Zeitzeugen, die er als junger Journalist in der DDR interviewte – Herta (Jg. 1903), als junge Frau leidenschaftliche Nationalsozialistin, und Otto (Jg. 1902), überzeugter Kommunist. Beide leben später
in der DDR und reflektieren ihre jungen Ideale und ihre Entwicklung in sehr konträren Weisen: Herta…mehrTorsten Harmsen (Jahrgang 1961) verarbeitet in seinem 2025 erschienenen Buch die Lebenswege zweier Zeitzeugen, die er als junger Journalist in der DDR interviewte – Herta (Jg. 1903), als junge Frau leidenschaftliche Nationalsozialistin, und Otto (Jg. 1902), überzeugter Kommunist. Beide leben später in der DDR und reflektieren ihre jungen Ideale und ihre Entwicklung in sehr konträren Weisen: Herta wirkt oft selbstkritisch und reflektiert; Otto eher ungezwungen, manchmal regimekritisch. Das dokumentarische Format erlaubt beide Stimmen ohne wertende Moral, bleibt aber bewusst ambivalent in den Deutungen – ganz in Harmsens Stil "ohne Wertung und mit allen Widersprüchen". Der Autor gibt bisweilen Orientierung, indem er geschichtliche Hintergründe ergänzt, manchmal auch falsche Äußerungen von Otto oder Herta korrigiert. Diesen Ansatz habe ich als hilfreich, aber manchmal unzureichend empfunden, und obwohl ich zum Teil selbst noch recherchiert habe, habe ich nicht alle Passagen hinreichend verstanden.
Der dokumentarische Ton wirkt oft trocken, mit vereinzelten Lichtblicken (v. a. bei Ottos Humor oder Hertas spürbaren Emotionen). Gestört haben mich Wiederholungen und Längen – hier hätte eine strengere Kürzung für mehr Dynamik sorgen können.
Ich hatte mir von der Lektüre vor allem ein klareres Verständnis dafür erwartet, wie junge Menschen von so unterschiedlichen Ideologien vereinnahmt werden konnten. Dieses Ziel wurde nur teilweise erreicht – die subjektiven Lebensrückblicke zeigen zwar viel, liefern aber wenig Analyse zur Mechanik der Ideologiebildung.
Fazit: Das Buch funktioniert gut als dokumentarische Biografie und Stimmenarchiv – für Leserinnen und Leser mit Interesse an Alltagserfahrungen und Selbstdeutung in der NS‑Zeit und DDR. Wer jedoch tiefer gehende sozialpsychologische oder ideologieanalytische Erklärungen sucht, findet nur fragmentarisch Antworten. Nichtsdestotrotz bietet das Buch wichtige Impulse und emotionale Szenen, die nachhallen.