Wie wir wurden, was wir sind
Die Protagonisten dieses Buches sind beide um 1900 geboren Otto entsammt einer liberalen Handwerkerfamilie. Er wird Bühnenmaler und steht der Arbeiterbewegung nahe. Mit Aufkommen des Nationalsozialismus stürzt er sich zunächst in den Straßenkampf zwischen Kommunisten
und Reichswehr. Später gerät er in den Widerstand gegen das Regime und überlebt mit Mühe und Not,…mehrWie wir wurden, was wir sind
Die Protagonisten dieses Buches sind beide um 1900 geboren Otto entsammt einer liberalen Handwerkerfamilie. Er wird Bühnenmaler und steht der Arbeiterbewegung nahe. Mit Aufkommen des Nationalsozialismus stürzt er sich zunächst in den Straßenkampf zwischen Kommunisten und Reichswehr. Später gerät er in den Widerstand gegen das Regime und überlebt mit Mühe und Not, versteckt in Deutschland. Nach dem Krieg wählt er die DDR als Heimat.
Herta ist Tochter einer bürgerlichen Familie, sie besucht eine höhere Schule, lebt aber sehr abgeschottet von der realen Welt. Sie studiert Biologie und will Lehrerin werden. In der Ideologie des Nationalsozialismus findet sie ihre Ideale von Natur, Gemeinschaft wieder und Ausdruck für ihr Gefühl einer Überlegenheit über andere Rassen. Sie bleibt diesen Idealen treu bis zum Zusammenbruch des Reiches, der zugleich den Zusammenbruch ihres Wertesystems bedeutet. In einem Straflager der Russen in der DDR scheint sich ihr ein neuer Lebensweg aufzutun, und auch sie bleibt in der DDR.
Zwei unterschiedliche Leben und die Frage, wie einer wird, was er ist, bewegen dieses Buch. Dabei lässt der Autor die beiden Hauptpersonen – mit Ausnahme weniger erklärender Ergänzungen – ohne Wertung selbst zu Wort kommen. Und sie haben Interessantes, Spannendes, Nachdenkliches und Erschreckendes zu erzählen. Mich hat besonders Herta beeindruckt, die mit großer Aufrichtigkeit über ihren fehlgeleiteten Glauben spricht und reflektiert. Sie gibt viel Anlass darüber nachzudenken, wie sich Ideologien verfangen und böse Früchte tragen können, und das nicht nur bei Menschen, die böse oder von schlechtem Charakter wären. Ihr Beispiel zeigt, dass so etwas jederzeit jedem passieren könnte, nicht weil ihr der Mut fehlt oder die Intelligenz, sondern weil sie ausschließlich einen Ausschnitt der Welt wahrnimmt, der in ihr eine Seite anspricht. Otto entstammt einem ganz anderen Ausschnitt aus dieser Welt, der ihn die Dinge anders wahrnehmen lässt. Vielleicht hat die liberale Erziehung dazu beigetragen, vielleicht sein Sinn für die Kunst, auf jeden Fall aber wohl die vielen Bekanntschaften, die er gemacht hat und die ihn, ähnlich wie bei Herta, nur in eine ganz andere Richtung geprägt haben. Es spielen viele Dinge eine Rolle, den Menschen zu dem zu machen, was er ist. Ich glaube, dass es wichtig ist, aus den Beispielen anderer zu lernen, sich zum Nachdenken anregen zu lassen, mit Empathie zuzuhören, um zu verstehen, und nicht um in erster Linie zu beurteilen, was passiert ist, vor allem was den anderen passiert ist, was häufig impliziert, dass einem selbst das nie passieren könnte. Und dann sind wir schnell vom Urteil zum Vorurteil gelangt.
Insofern ist das Buch wichtig und lesenswert, für alle, die wissen wollen, wie „das“ passieren konnte, und damit „das“ nie wieder passiert.