Unwirtlich, lebensfeindlich und doch Heimat: das sind die Färöerinseln für ihre Einwohner und Einwohnerinnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Da sie in der Stadt keine Zukunft sehen, beschließt eine kleine Gruppe Menschen, in den vormals als "Dødmansdal" bekannten, entlegenen Landstreifen,
den die neuen Einwohner*innen hoffnungsvoll "Noatun" nennen, Schiffsplatz - Sitz des Meeresgottes…mehrUnwirtlich, lebensfeindlich und doch Heimat: das sind die Färöerinseln für ihre Einwohner und Einwohnerinnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Da sie in der Stadt keine Zukunft sehen, beschließt eine kleine Gruppe Menschen, in den vormals als "Dødmansdal" bekannten, entlegenen Landstreifen, den die neuen Einwohner*innen hoffnungsvoll "Noatun" nennen, Schiffsplatz - Sitz des Meeresgottes in der Nordischen Mythologie, um ihm eine positivere Konnotation zu verleihen, zu ziehen. Doch gleich zu Beginn gibt es ein Unglück und die Menschen sind sich unsicher, ob ihr neuer Wohnort ein Überleben möglich macht. Schließlich ist es die Gemeinschaft, die sie doch an eine sicherere Zukunft glauben lässt.
Der färingische Autor William Heinesen lebte von 1900 bis 1991, Noatun war sein zweiter Roman, der 1938 erschien. Doch der Stil ist zeitlos, auf gewaltige Art und Weise veranschaulicht er uns das harsche Leben auf den Inseln im Atlantik, die Landschaft scheint - wie bei vielen nordischen Werken - die zentrale Rolle zu spielen, sie prägt das Überleben und die Menschen, gibt ihnen einen eigenen, rohen Charakter, wobei die Gemeinschaft immer im Mittelpunkt steht. Und vielleicht ist das auch, was den Roman von der Gegenwartsliteratur abgrenzt, denn nicht das Individuum steht im Mittelpunkt, sondern das gemeinsame Überleben.
Die Geschichte Noatuns wird in Form eines Kollektivromans erzählt - ein literarische Gattung, die ich bislang noch nicht bewusst kannte. Dabei stehen nicht einzelne Charaktere im Mittelpunkt, sondern immer wieder wechseln sich die Personen ab, über die erzählt wird. Wir kommen ihnen dabei niemals nah, die Sprache und der Umgang miteinander ist roh, aber trotzdem lässt sich auch Herzlichkeit und Wärme für die Gemeinschaft, füreinander herauskennen, sehr stark sogar. Erstaunlich offen und mitfühlig zeigen sie sich gegenüber Menschen, egal welche mutmaßlichen Fehler sie mitbringen: ob die Ehefrau, die sich aus ihrem ehelichen Korsett löst, oder der Verbrecher, dessen wahren Kern die Dorfgemeinschaft sieht, die Frau, die einer Geisteskrankheit anheim fällt oder der ausgenutzte Nichtsnutz, der trotzdem viel beizusteuern hat. Dass das nicht jedem gefällt und die Gemeinschaft mit erheblichen Widerstand von Außen rechnen muss, ist fast schon klar. Da wundert das Urteil der anderen nicht: "Es ist ein allzu hartes und armes Leben, ein solches Leben kann die Menschen nur hart und sonderbar machen und abgestumpft, [...], nicht wahr, sie werden anders als andere Menschen... anders als die guten alten Färinger, die unser Land aufgebaut und unsere Kultur bewahrt haben..." (S. 271) Doch die Unterstellung geht zu weit, denn Glaube und Tradition sind auch Werte, die die Noatuner prägen, sehr sogar - und trotzdem sind sie offen für das Anderssein, eine Stärke, die die Gemeinschaft nicht nur solidarischer, sondern auch für die Leser*innen anziehend macht.
Mein Fazit: Noatun ist ein wunderschöner Roman aus den späten 1930er Jahren, der Einblick gibt in die harsche Lebenswelt der Färöer Inseln, der uns aber auch zeigt, wie wichtig Gemeinschaft und Offenheit sind, um ein Überleben in der Wildheit der unberechenbaren Natur zu garantieren. Sprachlich bewegt er sich im typischen nordischen Stil, der uns viel Atmosphäre und Rohheit bietet und ist ein absoluter Lesegenuss für alle, die das zu schätzen wissen.