Liina, Rechercheurin bei einem der letzten nichtstaatlichen Nachrichtenportale, wird in die Uckermark geschickt, um zu überprüfen, ob dort tatschlich Schakale eine Frau angefallen haben. Dabei sollte sie eigentlich eine brisante Story übernehmen. Während sie widerwillig ihren Job macht, hat ihr Chef einen höchst merkwürdigen Unfall, und eine junge Kollegin wird ermordet. Beide haben an der Story gearbeitet, die Liina versprochen war. Anfangs glaubt sie, es ginge um den Handel mit Gesundheitsdaten im großen Stil, doch dann stößt sie auf die schaurige Wahrheit: Jemand, der ihr sehr nahesteht, hat die Macht, über Leben und Tod fast aller Menschen im Land zu entscheiden. Und diese Macht gerät nun außer Kontrolle ...
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© BÜCHERmagazin, Margarete von Schwarzkopf (mvs)
Nach der Pandemie: Zoë Beck blickt in eine Zukunft, die ganz nah scheint.
Ein mutiertes Masernvirus hat in den dreißiger Jahren des einundzwanzigsten Jahrhunderts ein Massensterben ausgelöst, als "Seuchenzeit" ist diese Katastrophe ins kollektive Gedächtnis eingegangen. In den Plattenbauten war die Ansteckungsrate besonders hoch, der Enge wegen. Schon in ihrem 2017 erschienenen Buch "Die Lieferantin" hat Zoë Beck - Schriftstellerin, Übersetzerin, Verlegerin, Synchronregisseurin - bewiesen, dass sie bestehende Situationen so weiterdenken kann, dass es einem dabei kalt den Rücken hinunterläuft.
Im Fall von "Paradise City" kommt noch Timing hinzu: Zwar entstand das Exposé schon vor zwei Jahren, doch der Lockdown kommt, als sich das Buch "längst im Lektorat" befindet, wie Beck dem "Spiegel" verriet. Der Roman spielt in einem Deutschland, das Pandemien und Klimakatastrophen hinter sich hat: Weite Teile des Nordens hat das Meer verschluckt, und Frankfurt am Main, inzwischen eine Megacity mit zehn Millionen Einwohnern, firmiert als neue Hauptstadt. Alle Museen wurden nach Bad Vilbel ausgelagert.
Sämtliche Fäden laufen bei einer totalitären Regierung mit freundlichem Gesicht zusammen, die die Grenzen abschottet, im Namen der inneren Sicherheit die Medien gleichschaltet und die Bevölkerung rund um die Uhr kontrolliert. Eine Gesundheits-App namens KOS analysiert über einen implantierten Chip unentwegt alle Körperwerte, ordnet Medikamenteinnahme an. Die Leute sind darüber bequem geworden. Wogegen sollten sie auch demonstrieren, es geht ihnen ja gut.
Es drängt sich geradezu auf, "Paradise City" im Tandem mit Becks Vorgängerroman zu lesen: Auch "Die Lieferantin" spielt in der Zukunft, dreht aktuelle Entwicklungen weiter in Richtung Dystopie, dazu ein Schuss Hightech und eine schwer zu greifende Protagonistin. Selbst das Coverdesign suggeriert eine Geistesverwandtschaft der Bücher. Beide arbeiten mit urbanen Motiven, mit Symmetrien und - ähnlich der Farbpalette vieler jüngerer Kino-Blockbuster - dem Kontrast zwischen kaltem Blau und warmem Orange. Aber während sich "Die Lieferantin" als engagiertes Statement für Eigenverantwortung und gegen den Brexit las, lässt Beck in "Paradise City" deutlich mehr Zweifel zu, arbeitet das Dilemma all jener heraus, die in ihrer Welt noch zwischen Freiheit und dem Weg des geringsten Widerstands unterscheiden wollen. Selbst die wenigen verbliebenen Systemkritiker in "Paradise City" loben schließlich die hervorragende Gesundheitsversorgung.
Unter diesem Druck ächzen die letzten Bollwerke des unabhängigen Journalismus, von der Öffentlichkeit verächtlich "Wahrheitspresse" genannt, die mit einem Bein im Untergrund und mit dem anderen im Gefängnis agieren. Zu so einer Redaktion gehört auch Liina, die in die Uckermark geschickt wird, um dort eine Geschichte zu recherchieren, die sie für sterbenslangweilig hält: Ein Schakal soll eine Frau getötet haben. Doch während sie durch den gottverlassenen Landstrich streift, stirbt eine Kollegin und ihr Chef hat einen ausgesprochen merkwürdigen Unfall.
Während sie also den Plot als Hybrid aus Kriminalroman und Science-Fiction vorantreibt, nutzt Beck parallel dazu Rückblenden, um die Geschichte einer politischen Wesensbildung zu erzählen. Zur psychologisch vieldimensionalen Persönlichkeit wird Liina dabei nicht, vielmehr fungiert sie als Gefäß, als Repräsentationsvehikel. Als Frauenfigur, die in aller Ausführlichkeit darlegt, wieso sie sich nicht für Kinder interessiert, gehört sie zu einer seltenen Spezies. Detailliert beschreibt Beck später eine Fehlgeburt, nennt ihre Figuren, ohne viel Aufhebens darum zu machen, Yassin, Özlem und Dr. Mahjoub, lässt sie homosexuelle Partnerschaften führen oder binäre Geschlechterzuordnungen unterlaufen. Ihre Entwürfe von Dystopie und Utopie liegen nah beieinander; dass viele garstige Versäumnisse unserer heutigen Gesellschaft in der Welt von "Paradise City" überwunden scheinen, spricht dafür. Den Text hebt das auf die Höhe der Zeit, er schrammt aber mit all seinen knapp umrissenen Figurenskizzen auch gelegentlich am Klischee vorbei: Selbst hier existiert der Stereotyp der schwarzgekleideten Hackerin mit Tattoos und Undercut.
In pragmatischen Sätzen verzeichnet Zoë Beck eine aseptische Umwelt, bevölkert von properen Menschen, die ebenso auf Effizienz hin optimiert sind wie ihre am Reißbrett geplanten Retortenstädte. Nur, so richtig zum Leben erweckt sie sie nicht - und das passt einerseits, denn wie viel Leben steckt schon in einem Berlin, das nur noch als Kulisse für Pauschaltouristen auf Geschichtserlebniswoche dient?
Becks sprachlicher Minimalismus hat den Effekt einer Tilt-Shift-Fotografie, bei der satte Farben und gezielte Unschärfen selbst Frankfurter Hochhausschluchten aussehen lassen können wie eine Miniatur. Das große Ganze geht auf, schwieriger ist es gelegentlich im Detail: Nebenbei fallengelassene Dialoge drosseln angesichts ihrer Schwerfälligkeit das Tempo, das willkommen wäre, um "Paradise City" ein bisschen mehr Widerspenstigkeit zu verleihen, ein bisschen mehr Knirschen in der Handlungsmaschinerie. Ein literarisches Frankfurter Bahnhofsviertel gewissermaßen, wie damals zu besseren Zeiten, als sich dort die Systemgegner sammelten, die inzwischen, abgeschnitten von jeder staatlich organisierten Grundversorgung, außerhalb der Städte am Rand der Gesellschaft leben. Am besten liest sich "Paradise City" als zutiefst beunruhigendes Gedankenspiel.
KATRIN DOERKSEN
Zoë Beck: "Paradise City". Thriller.
Suhrkamp Verlag,
Berlin 2020.
280 S., br., 16.- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
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