Amélie Nothomb arbeitet in "Psychopompos" ihre eigene Geschichte auf: das Heranwachsen als Botschaftertochter in verschiedenen Ländern, ein traumatisches Erlebnis, das sie fortan nicht nur prägte, sondern fast umbrachte, die Suche nach sich selbst, die Verbindung zu Vögel, der stets anwesende Tod
und schließlich ihr Schreiben.
Die Autorin war mir bislang unbekannt, nach diesem ergreifenden…mehrAmélie Nothomb arbeitet in "Psychopompos" ihre eigene Geschichte auf: das Heranwachsen als Botschaftertochter in verschiedenen Ländern, ein traumatisches Erlebnis, das sie fortan nicht nur prägte, sondern fast umbrachte, die Suche nach sich selbst, die Verbindung zu Vögel, der stets anwesende Tod und schließlich ihr Schreiben.
Die Autorin war mir bislang unbekannt, nach diesem ergreifenden Selbstportrait, das durch eine philosophische und teils poetische Sprache beeindruckt, möchte ich das rasch ändern. Von der ersten Seite weg zog mich ihre feinfühlige Sprache in den Bann, ihre innige Verbindung zu Vögel, der Genuss diese Tiere zu beobachten, die Versuche Verbindungen mit ihnen aufzubauen, Ähnlichkeiten mit sich selbst zu finden, der große Wunsch und die kindliche Überzeugung eines Tages fliegen zu können - als das kann ich zutiefst nachempfinden. Nebenher ist das Trauma so verheerend, dass sie es nicht beschreiben kann, doch löst sie es anhand ihrer metapherhaften und intensiven Sprache auf und hinterlässt die Lesenden schockiert. Danach sind auch die Vögel nicht mehr von großer Bedeutet, schlichtes Überleben zählt. Nicht all ihre Gedanken sind nachvollziehbar, aber grundsätzlich weiß man, worauf Nothomb hinaus will - sie schenkt den Leser*innen Vertrauen, indem sie ihre Gedankenwelt offenlegt.
Die Autorin scheint sich gut auf die unterschiedlichen Kulturen, die sie im Laufe ihrer Kindheit kennenlernte, einlassen zu können, ja auch lieben zu lernen. Im Fokus steht, neben den Vögeln, immer ihr Vater, zu dem sie eine besondere Zuneigung hegt und dem sie am Ende seines Lebens etwas gibt, was sie auch noch nach seinem Tod verbindet. Die Verbindung zum Vater bleibt tief, auch nachdem ihr als Zwölfjährige dieses furchtbare Etwas passiert, das ihr die Liebe zum Meer, den Vögeln und auch zu sich selbst nimmt. Fortan ist sie unsicher, ob sie noch leben möchte, oder doch eher sterben, lange Zeit schwankt sie in einem Stadium zwischendrin. Irgendwann ist sie auf die antike Legende des Psychopompos gestoßen, ein Seelengeleiter, der die Seelen Verstorbener ins Jenseits begleitet und sie fragt sich, ob das ihre Rolle im Leben und im Sterben sein soll. Doch irgendwann weiß sie: ihre Bestimmung ist das Schreiben.
Mein Fazit: Psychopompos ist ein ergreifendes Selbstportrait, das nicht nur Vögel, sondern auch die Vater-Tochter-Beziehung und die Beziehung zu sich selbst in den Mittelpunkt setzt. Es ist ein Versuch, sich selbst zu verstehen, das Hin- und Hergerissenwerden zwischen Lebensfreude und Todessehnsucht und ein Trauma durch das eigene Schreiben zu überwinden. Es ist eine Empfehlung an alle, die bereit sind, sich auf philosophische (Selbst-)Erkenntnisse einzulassen und die es nicht stört, dass man vielleicht nicht alles zu hundert Prozent nachvollziehen kann. Die Zerrissenheit und die siegende Liebe zum Leben fühlt mal allemal.