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© BÜCHERmagazin, Christian Bärmann (bär)
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Hätte er doch geschwiegen: Ethan Hawkes Regelbuch
Ein Brief taucht auf, angeblich aus Familienbesitz. Sein Autor ist ein gewisser Sir Thomas Lemuel Hawke, gefallen 1483 "in der Schlacht von Slaughter Bridge". Der Brief, abgefasst auf Kornisch, stammt aus demselben Jahr und ist also ein Vermächtnis im Angesicht des Todes. Es handelt sich um Lehren, die Sir Thomas seinen Kindern erteilt, und publiziert werden sie in unserer Gegenwart: von Ethan Hawke, Schauspieler und Autor.
Ihren Witz bezieht Hawkes Konstruktion daraus, unsere Gegenwart mit dem Ethos jenes Sir Thomas zu konfrontieren, mit einem Weltbild allerdings, das notwendig Züge einer Spätzeit trägt: Ritter, 1483? Das heißt, dass der eigene Stand seit mehr als hundert Jahren gesellschaftlich und militärisch auf dem Rückzug ist, in der Schlacht nicht mehr gebraucht wird und mehr und mehr zur Kostümierung adliger Spiele herhalten muss - in dieser Umbruchszeit kommt das Turnier wieder sehr in Mode, ohne dass sich noch irgendjemand recht eigentlich "Ritter" nennen könnte.
Unsere eigene Epoche, gezeichnet von Unsicherheit und permanentem Wandel, mit einer früheren zu konfrontieren, in der es ähnliche Tendenzen gibt, könnte durchaus reizvoll sein. Doch Ethan Hawkes im Original 2010 erschienenes Büchlein "Regeln für einen Ritter" schert sich um die Vergangenheit nur so weit, wie sie ihm das Dekor für eine sehr aktuelle Botschaft zur Verfügung stellt. Zunächst stellt Sir Thomas klar, dass jeder seiner Ratschläge selbstverständlich auch für Mädchen gelte, Ehrensache, und erweist sich damit als seiner Zeit um Jahrhunderte voraus. Dann geht es Schlag auf Schlag: Übernimm Verantwortung! Mach mal Pause! Sei demütig! "Erwarte nichts, und du wirst alles genießen." Nimm den Mittelweg! Sag "Ja" zum Leben, denn "die einfachen Freuden sind die großartigen". Ein Ritter "hinterlässt jeden Raum, den er betritt, heller und sauberer, als er ihn angetroffen hat". Und manchmal hört sich das an wie im Yoga-Kurs, wenn dieser späte Ritter das "bewusste Atmen" preist: "Indem wir auf unsere Atmung achten, können wir unseren Körper bewusster bewohnen und unseren Instinkten besser folgen."
Widersprechen mag man da nicht, aber gähnen muss man oft. Denn so wohlfeil der Inhalt ist, so einfallslos ist die Form dieses fiktiven Briefs. Die literarisch gemeinten Passagen, die vielen kleinen Geschichtchen, stehen dezidiert im Sinn der Botschaft. Sprachlich sind sie angestrengt schlicht und zudem wenig inspiriert, wenn es darum geht, über die Schilderung von Naturphänomenen so etwas wie Atmosphäre zu erschaffen. Manchmal soll sich gar das genuine Rittertum sprachlich ausdrücken, was hier aufs Gravitätische hinausläuft: "Bedenke, einen Freund musst du nicht beeindrucken", heißt es da, aber auch das ist ja nichts anderes als ein plump gewähltes Kostüm.
Dabei fehlt es in der Literatur nicht an authentischen Ratschlägen für angehende Ritter, die aus dem Mittelalter auf uns gekommen sind. Im "Parzival" des Wolfram von Eschenbach etwa, entstanden bald nach 1200, finden sich Passagen, in denen der weise Gurnemanz den jungen Helden im Schnellverfahren zum Ritter machen will und entsprechend anweist. Parzival lernt, dass er hilfreich zu den Schwachen sein und sich nach der Schlacht die Hände waschen soll, vor allem aber, dass es gut ist, einfach mal den Mund zu halten. Sir Thomas und Ethan Hawke hatten ersichtlich keinen Gurnemanz als Lehrer.
TILMAN SPRECKELSEN
Ethan Hawke: "Regeln für einen Ritter".
Aus dem Englischen von Kristian Lutze. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 192 S., geb., 12,- [Euro].
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