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Unter Schafen: Der amerikanische Autor Sam Apple begleitet einen jiddisch singenden Wanderhirten durch Österreich
Nein, man hatte nicht damit rechnen können, dass einen ein Sachbuch über einen österreichischen Wanderhirten, der jiddische Volkslieder singt, fesseln würde. Man hatte ja nicht einmal von der Existenz eines solchen geahnt, weil sich dieser gewissermaßen außerhalb der Grenzen der eigenen Vorstellungskraft bewegte. Wanderhirte in Österreich schön und gut, aber auf den Schlenker mit den jiddischen Liedern wäre man im Leben nicht gekommen. Es gibt ihn aber wirklich, er heißt Hans Breuer, zieht mit 675 Schafen durch die österreichischen Alpen, und ein junger amerikanischer Journalist, Sam Apple, hat ihn dabei begleitet und ein Buch über diese Begegnung geschrieben, das sich liest wie Fiktion, nur dass diese niemals so gut hätte erfunden werden können.
Der Autor, Sam Apple, wurde 1975 in Houston geboren. Seine Mutter starb früh, und er wuchs bei seiner Großmutter auf, einer Jüdin aus Litauen, die im Alter von elf Jahren aus ihrem Schtetl hatte fliehen müssen und das Schtetl mit in ihre neue texanische Heimat nahm. Zum Einschlafen sang sie ihrem Enkel jiddische Lieder vor, und sie erzog ihn in dem Glauben, dass sie Fremde unter Nichtjuden waren und dass den Nichtjuden nicht zu trauen ist. "Hin und wieder gab es Momente, da lief ich durch die geschäftigen Flure meiner High School und kam mir vor wie ein lebender Anachronismus, als gehörte ich in eine andere Zeit, an einen anderen Ort und als wäre ich nur aus Versehen im späten zwanzigsten Jahrhundert inmitten von Cowboystiefeln tragenden Nichtjuden gelandet. Die Grenze zwischen Jude und Nichtjude war bei mir genauso scharf gezogen wie bei jedem anständigen Antisemiten."
Im Jahr 2000 - Apple wohnt inzwischen als freier Journalist in New York - überredet ihn eine Freundin, sie zum jiddischen Liederabend eines österreichischen Wanderhirten zu begleiten. Apple findet, das klingt absurd genug, um hinzugehen. Und obwohl er während des Konzerts von Lachanfällen geschüttelt wird - (zwischen den Songs werden Dias von Schafen gezeigt) -, entdeckt er, dass für ihn eine größere Geschichte in dem Thema steckt. Er macht ein Interview mit dem singenden Hirten - und vereinbart, ihn ein paar Wochen auf Wanderschaft zu begleiten. Um mehr zu erfahren über diesen seltsamen Mann. Über Juden und Nichtjuden, Europa und den Holocaust, Antisemitismus im Österreich von heute. Über sich selbst.
Wer das Buch liest, erfährt allerhand über Schafe, Haider und die FPÖ, über die Legende vom Ewigen Juden, über Hans Breuer, den letzten Wanderhirten Österreichs, und dessen Familiengeschichte, in der ein jüdischer Vater, eine kommunistische Mutter und die Gestapo eine Rolle spielen. Am meisten aber erfährt man über den Autor, Sam Apple, einen klugen und liebenswerten Hypochonder, der von seiner Großmutter dazu erzogen wurde, Antisemiten zu fürchten, der nie im Leben einem Antisemiten begegnet war und der nach Österreich kam, in die vermeintliche Hochburg des Antisemitismus, um sich seinen Dämonen zu stellen.
Wie auch immer er das anstellt - Apple schafft es, Schafe, Judentum und seine persönliche Sinnsuche so selbstverständlich miteinander zu verknüpfen, dass es einem bald schon absurd erscheint, dass diese Themen jemals alleine für sich stehen konnten. Auf seine vielen Fragen findet er nicht eine, sondern viele Antworten, und zuletzt stört es ihn auch gar nicht mehr, dass die sich alle gegenseitig widersprechen. All das liest sich so abgründig und leicht zugleich, als sei es allein zu dem Zweck geschrieben worden, Jonathan Safran Foer neidisch zu machen. Ein besseres Buch, das lässt sich mit Sicherheit sagen, wurde nie zuvor über einen jiddisch singenden Wanderhirten geschrieben.
JOHANNA ADORJÁN
Sam Apple: "Schlepping durch die Alpen". Ein etwas anderes Reisebuch. Aus dem Englischen von Monika Schmalz. Atrium Verlag, Zürich 2007. 320 S., Abb., geb., 19,90 [Euro].
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