Inhaltlich kommt der Roman nach „Als sei alles leicht“ und wird erzählt von Dora, die in dem vorgenannten Roman das Baby ist. Jetzt, 1962, ist sie 17, und wie die meisten ihres Alters probiert sie sich aus. Sie erzählt von ihrer dysfunktionalen Familie in ärmlichen, improvisierten Wohnverhältnissen.
Dora besucht das Gymnasium, was nicht selbstverständlich ist in jener Zeit, schon gar nicht für…mehrInhaltlich kommt der Roman nach „Als sei alles leicht“ und wird erzählt von Dora, die in dem vorgenannten Roman das Baby ist. Jetzt, 1962, ist sie 17, und wie die meisten ihres Alters probiert sie sich aus. Sie erzählt von ihrer dysfunktionalen Familie in ärmlichen, improvisierten Wohnverhältnissen. Dora besucht das Gymnasium, was nicht selbstverständlich ist in jener Zeit, schon gar nicht für Mädchen, hat Musikunterricht und kümmert sich auch sonst um alles. Die Mutter ist chronisch krank, außerdem unzufrieden, unglücklich und enttäuscht vom Leben und ihrem Ehemann. Im Harz hat es ihr, der ehemals glühenden Nazisse aus gutbürgerlichen Verhältnissen in Schlesien, nie gefallen, sie hat nicht das Leben, das sie leben wollte. Dora hat die Werturteile und den Blick ihrer Mutter verinnerlicht. Sie wird streng und mit Gewalt erzogen, vor allem der Vater hat genaue Vorstellungen und bestraft jedes Fehlverhalten körperlich. Die Ehe der Eltern funktioniert nicht, es wird nicht argumentiert, sondern gestritten, und der Vater hat cholerische Ausbrüche. Doras Mutter ist ihm zu jener Zeit ausgeliefert, denn wie und wovon sollte sie im Falle einer Scheidung leben? Obwohl Dora dieses Rollenmodell nicht gefällt und sie die gesellschaftlichen Konventionen ablehnt, begehrt sie nicht auf, sondern adaptiert beides, wie sich später noch zeigen wird. Die Mädchen sind alle Lolitas, so ist jedenfalls Doras Sicht, und setzen ihre Körperlichkeit ein, um die Jungs zu beeindrucken, orientieren sich an Brigitte Bardot, und das ist gesellschaftlich anerkannt. Um sich zu beweisen, macht Dora einem jungen Lehrer so lange Avancen, bis der verheiratete Mann seinen Widerstand aufgibt. Das kann nicht gut ausgehen, und für den jungen Mann endet es tragisch.
Dora erzählt ihre Geschichte als alte Frau von fast 80 Jahren, ein Klassentreffen ist der Auslöser. Sie kommentiert ihre Geschichte aus der zeitlichen Distanz, denn eingeschoben sind immer wieder Gedanken über die gesellschaftlichen Gegebenheiten zu Beginn der 60er Jahre, politische Ereignisse wie die Kuba-Krise, die die Welt für ein paar Tage an den Rand eines 3. Weltkriegs, der vermutlich ein Atomkrieg geworden wäre, brachte. Erwähnt Mauertote, der Bau der Berliner Mauer liegt gerade ein Jahr zurück. Und wie funktionierte Schule damals, wie und was wurde unterrichtet, und vor allem - was nicht? Gerade diese Einschübe und das Reflektieren der gealterten Dora über Politik und Gesellschaft und ihr heutiger Blick auf ihr junges Ich im Rahmen dieser Gesellschaft machen das Buch so interessant. Die junge Dora ist keine Sympathieträgerin, sie leidet zuweilen an Selbstüberschätzung, und ich habe den Eindruck, dass sie sich aus der Distanz der Jahre selbst nicht immer mag. Aber sie ist zugleich auch Opfer ihrer Umstände, überfordert von den Anforderungen ihrer Eltern, die sie, die Schülerin, zugleich in die Rolle der Hausfrau, der Ersatz-Mutter für die viel jüngere Schwester und in die der Pflegerin für die Mutter drängen, die als Managerin der Familie und des Haushalts ausfällt. Derart unter Druck und überfordert, ist es wenig verwunderlich, dass Dora die Konsequenzen ihres Handelns im Hinblick auf den Lehrer egal sind.
Wie auch in „Als sei alles leicht“ gibt es auch hier immer wieder Vorgriffe auf die Zukunft, und ich würde sehr gerne lesen, wie es mit Dora weitergeht, auch wenn Vieles hier schon angezeichnet ist.