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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Von Solingen ins Silicon Valley: Andreas Dripke porträtiert den Informatiker Sebastian Thrun
Fast jeder Mensch, der Produkte von Google verwendet hat, ist dabei mit der Arbeit von Sebastian Thrun in Kontakt gekommen. Der Wissenschaftsjournalist Andreas Dripke hat nun eine autorisierte Biographie des 1967 in Solingen geborenen Informatikers vorgelegt. Er zeichnet dessen Lebensweg von der Kindheit über prägende Erlebnisse in der Schulzeit bis hin zur universitären Karriere und zu unternehmerischen Tätigkeiten im Silicon Valley nach.
Der Text hat zwei Ebenen. Dripke erzählt den Lebenslauf in überwiegend chronologischer Reihenfolge, unterbrochen von kurzen Kommentaren von Thrun selbst. Und das Buch kommt zum richtigen Zeitpunkt, weil Thruns wichtigstes Forschungsfeld, das maschinelle Lernen durch statistische Verfahren, derzeit durch Produkte wie ChatGPT oder diverse Text-zu-Bild-Generatoren große Popularität genießt.
Wer einen ausführlichen Blick hinter die Kulissen von Google erwartet, wird von dem Buch enttäuscht werden, schließlich unterliegen auch ehemalige Mitarbeiter des Konzerns Geheimhaltungsvereinbarungen. Thrun, der für Google unter anderem das Programm "Street View" zur Erfassung und Wiedergabe von Straßenzügen sowie Maschinenlern- und Navigationssysteme entwickelt hat, lässt nur durchblicken, dass er einen der beiden Unternehmensgründer, Larry Page, sehr schätzt und den anderen, Sergey Brin, nicht ganz so sehr.
Brin war Thruns Vorgesetzter zu dessen Zeit bei der Entwicklungsabteilung Google X. So kann er es sich nicht verkneifen, eine Anekdote aus der Entwicklungsphase des Augmented-Reality-Systems Google Glass zu bringen. Brin, so erzählt Thrun, habe nicht daran geglaubt, dass es dem Glass-Team gelingen würde, eine Datenbrille mit ausreichend langer Akkulaufzeit zu entwickeln, und dafür plädiert, anstelle von Google Glass einen Hut zu vermarkten, in dem größere Akkus hätten untergebracht werden können. Brin habe auch darauf beharrt, mit Google X vornehmlich Hardware-Produkte zur Marktreife zu bringen und dabei die von Thrun entwickelte KI-Software zu vernachlässigen.
Man merkt Thruns vorsichtig formulierten Kommentaren den Ärger darüber an, dass Google den von ihm erarbeiteten Vorsprung beim Maschinenlernen autonomer Fahrzeuge gegenüber Konkurrenten wie Tesla nicht konsequent ausgebaut hat. Spannender wird das Buch wieder, als Thrun Google und die Universität Stanford verlässt, um sein Onlinebildungssystem Udacity zu gründen, denn hier kann er freier über Fehler und Strategien zu deren Bewältigung diskutieren.
Im letzten Teil des Buchs geht es um Thruns Sicht auf die Zukunft aktueller Technologien. Die freilich sieht er rosig: "Wenn man bedenkt, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung in den USA nur über einen Highschool-Abschluss verfügt, dann bedeutet dies, dass die KAI [Künstliche Allgemeine Intelligenz, Systeme wie ChatGPT] mit dem Großteil der Menschen in diesem Land beim Denken mithalten kann." Die KI-Systeme seien "mit Stand 2023 ungefähr so intelligent wie der Durchschnitts-Amerikaner". Über den Intelligenzbegriff, der dieser Behauptung zugrunde liegt, schweigen sich Thrun und Dripke aus.
In Geschäftsdingen zeigt sich Thrun als Fan von Elon Musk, er verteidigt dessen Übernahme des Kurznachrichtendiensts Twitter. Zu der Zeit, als das Buch entstand, war wohl noch nicht absehbar, dass Musk etwa Zensurforderungen der türkischen Regierung in der Endphase des dortigen Präsidentschaftswahlkampfs nachgeben würde. Eine eindeutige politische Präferenz lässt Thrun nicht erkennen, das erste Empfehlungszitat für das Buch stammt von Donald Trumps Tochter Ivanka Kushner, die Udacity bei ihrer Arbeit im Weißen Haus unterstützt hat. Joe Biden wiederum denke seine Politik nicht "bis zum Ende durch". Helmut Kohl findet er "historisch unterbewertet". Zu Deutschland pflegt er das ambivalente Verhältnis des erfolgreichen Auswanderers. Einerseits findet er hier Anerkennung und wichtige Kunden, andererseits attestiert er seinen hiesigen Gesprächspartnern, dass ihnen häufig "die Basis für logisches Denken fehlt".
Thruns Lebenslauf ist für Softwareentwickler durchaus inspirierend. Allerdings bedeutet "Autorisiert" im Fall des vorliegenden Textes auch, dass sich der Leser mit solchen Formulierungen konfrontiert sieht: ". . . freut sich der wohl innovativste Professor der Welt wie Bolle". Am Ende bleibt die Beobachtung, dass das Silicon Valley aus einem begabten Wissenschaftler, der sich mit Projekten wie der Kartierung von Gefahrenzonen in Bergwerken durch Maschinenlernen und Photogrammetrie oder Hautkrebserkennung via Smartphone befasst hat, einen Menschen macht, der am Ende für Larry Page autonom fliegende Lufttaxis baut: "Ich habe aufgehört, an selbstfahrenden Autos zu arbeiten, als mir klar wurde, dass wir in dreißig oder fünfzig Jahren alle durch die Luft fliegen werden."
Thruns Lernportal Udacity, das ursprünglich traditionellen Universitäten Konkurrenz hätte machen sollen, ist heute mit Informatikkursen für Fortbildungsprogramme in Konzernen erfolgreich. Sogar in Sebastian Thruns Liga scheint man sich zwischen den Freiheiten des Marktes und jenen der Grundlagenforschung entscheiden zu müssen. Die Grenzen setzt schließlich der jeweilige Investor. GÜNTER HACK
Andreas Dripke: "Sebastian Thrun". Eine deutsche Karriere im Silicon Valley. Was wir von einem der klügsten Köpfe der Welt für unser eigenes Leben lernen können.
Diplomatic Council Publishing, Wiesbaden 2023. 296 S., geb., 32,- Euro.
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