Frances Hinton arbeitet in der Bibliothek eines medizinischen Forschungsinstituts und verwaltet dort das Bildmaterial, das sich vor allem dem menschlichen Wahnsinn in seinen verschiedensten Formen widmet. Privat fühlt sie sich häufig einsam und allein. Sie lebt nach dem Tod ihrer Mutter noch immer
mit der gemeinsamen Haushälterin zusammen und auch die Männerwelt liegt ihr nicht unbedingt zu Füßen.…mehrFrances Hinton arbeitet in der Bibliothek eines medizinischen Forschungsinstituts und verwaltet dort das Bildmaterial, das sich vor allem dem menschlichen Wahnsinn in seinen verschiedensten Formen widmet. Privat fühlt sie sich häufig einsam und allein. Sie lebt nach dem Tod ihrer Mutter noch immer mit der gemeinsamen Haushälterin zusammen und auch die Männerwelt liegt ihr nicht unbedingt zu Füßen. Als sie Nick Fraser, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts, und dessen Frau Alix näher kennenlernt, scheint sie der Einsamkeit Schritt für Schritt entfliehen zu können. Doch zu welchem Preis? Denn die beiden entpuppen sich als besitzergreifend und rechthaberisch und versuchen, immer größeren Einfluss auf Frances' Leben nehmen zu wollen...
"Seht mich an" ist der dritte Roman von Anita Brookner (1928 - 2016), der als deutsche Übersetzung bereits 1987 erschien und nun in einer neuen Ausgabe des Eisele Verlag, versehen mit einem informativen Nachwort von Daniel Schreiber, erneut veröffentlicht wurde. Der Verlag folgt damit seiner Prämisse, in Vergessenheit geratene Autorinnen wieder ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken, wie zuletzt so bewegend und erfolgreich mit Margaret Laurence und ihrem Roman "Eine Laune Gottes". Für ihren bekanntesten Roman "Hotel du Lac" gewann Brookner 1984 den Booker Prize, der kurz darauf zudem fürs Fernsehen verfilmt wurde.
Eher Fernsehfilm- als Kinoniveau hat dann auch "Seht mich an", obwohl das Buch durchaus vielversprechend beginnt. Ich-Erzählerin Frances reflektiert klar und präzise über ihre Arbeit und die Verbindung zwischen Kunst und Wahnsinn. Dabei merkt man der Autorin ihren kunsthistorischen Hintergrund an, ohne dass dieser belehrend oder artifiziell wirken würde. Vielmehr weckt Brookner in wenigen Worten großes Interesse an ihrer Protatonistin und deren Tätigkeit. Problematisch ist allerdings, dass sich dieses Interesse im Folgenden nicht aufrechterhalten lässt.
Denn die Hauptfigur entpuppt sich als relativ farblos und langweilig. Attribute, die sich ohne Weiteres leider auf den Roman im Ganzen übertragen lassen. Ein Grund dafür sind die Figuren und ihre fehlende Entwicklung. Frances, eigentlich eine kluge Frau, verfällt den vermeintlich charismatischen Nick und Alix mit Haut und Haar. Dabei ist an Alix das Aufregendste schon der Name. Ansonsten entpuppen sich die beiden als nerviges Spießerpaar, das Bohemiens gleichen soll, aber beim Fernsehabend mit Pralinen nur um sich selbst kreist. Es bleibt völlig unverständlich, was Frances an ihnen findet, wodurch dem Roman gleichsam seine Grundlage entzogen wird. Über weite Strecken plätschern die angenehme, aber selbst für 1983 etwas altmodische Sprache und die stagnierende Handlung ohne große Überraschungen oder Aufreger vor sich hin. Man folgt Frances in ihren Gedanken, in ihrem Alltag, ihrer Langeweile, die sich nahtlos auf die Leserschaft überträgt und ihrer Einsamkeit.
Trotzdem gelingt es Anita Brookner im Mittelteil plötzlich, für einen kurzen Moment einen veritablen Spannungsbogen zu erzeugen. Frances plant einen Weihnachtsurlaub mit Nicks Kollegen James, zu dem eine Liebesbeziehung möglich scheint. In der Folge geht es darum, diesen vor Nick und Alix so gut wie möglich zu verheimlichen. Dabei beginnt Alix, die Protagonistin in der Bibliothek mit ihren Anrufen zu stalken. Man fiebert in dieser Phase mit der ansonsten unzugänglichen Hauptfigur, die es so gut wie nie schafft, so etwas wie Empathie mit ihr zu empfinden. Doch so schnell diese Ideen auftauchen, so zügig werden sie wieder verworfen. James zieht aus der Wohnung seiner Mutter aus, um bei Alix und Nick zu wohnen, obwohl er sich in deren Anwesenheit merklich unwohl fühlt. Warum? Das bleibt leider Anita Brookners Geheimnis, denn aus den insgesamt wenig komplexen Figuren lässt es sich nicht herauslesen.
So funktioniert "Seht mich an" nur teilweise als psychologisches Drama über die Einsamkeit. Hervorzuheben bleibt dennoch, das wirklich wunderbare Anliegen des Verlags, vergessene Autorinnen wieder in Erinnerung zu rücken. Ich persönlich freue mich aber lieber auf die nächste Margaret Laurence-Veröffentlichung, als es noch einmal mit einem Brookner zu versuchen.