Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Das Debüt von Josefine Rieks kehrt unsere quasireligiöse Apple- und Internetbegeisterung in eine düstere Science-Fiction um
Dieses Buch ist wie ein Geheimnis, das ein Insider dem anderen ins Ohr flüstert. Denn wo hat man solche herrlichen Sätze jemals gelesen: "Lynne Litter oder Jenny McCarthy (. . .) spielten die Elitekämpferin als Schlampe mit aufgepumpten Brüsten und dicken Lara-Croft-Knarren. Nur Kari Wuhrer spielte Tanya demütig." Es geht um die verschiedenen Teile des Videospiels "Command & Conquer". Und es sind Aussagen, die Gamer wirklich zueinander sagen würden. Hier hat jemand gut hingehört oder sogar das Leben der Freaks and Geeks von innen erlebt. Es ist die Autorin Josefine Rieks.
Aber es schwingt auch eine leichte Skepsis mit, die die Autorin ihren eigenen Figuren entgegenzubringen scheint. Kari Wuhrer ist ein mäßig ernstzunehmendes Dekolleté-Model, genau wie die anderen Genannten. Reiner sammelt in einer nicht allzu fernen Zukunft alte Computer, ein Hobby, über das man schweigen muss. In Rieks Debütroman "Serverland" ist das Internet abgeschaltet, es ist nur noch eine nostalgische Erinnerung im Gedächtnis der Älteren. Die digitale Ära ist verdrängt, "das Tabu war unerbittlich", heißt es einmal. Das Setting dürfte als Ohrfeige gemeint sein für alles, was heute als groß und glorreich verehrt wird. Der Amazon-Gründer Jeff Bezos ist der reichste Mann der Welt, das las man gerade diese Woche. Dieses Buch ist die bittere Kehrseite des Kults um die digitale Welt. Es tut so, als könne alles einfach wieder untergehen und dann nur noch wie ein heftiger, vielleicht böser Traum wirken.
"Serverland" strahlt damit eine angenehme Ruhe aus. Menschen sehen einander viel in die Augen. Und es sind wieder alte Dinge wie etwa Telefonbücher in Benutzung. Man schläft in Pensionen, plaudert mit der Wirtin. Aber Reiner und ein paar andere sind auf der Jagd nach etwas, das auf den alten Servern noch liegt: Videos. Wenn sie etwas finden, dann erscheint es ihnen wie die Relikte einer versunkenen Kultur, eine Server-Halle von Google entdecken sie in Holland so wie Charlton Heston in "Planet der Affen" die Reste der Freiheitsstatue. "Isn't it like a cathedral? - Like a . . . like a memorial of a better time?", sagt in dem alten Raum eine Amerikanerin, die offenbar auch da ist, um Reste des Internets aufzuspüren.
"Krasser Schmerz fuhr mir in die Schläfen", sagt der Erzähler beim Aufwachen, aber das ganze Buch ist ein böses Erwachen. Und es ist faszinierend. Da kramen die Punks der Zukunft in dem digitalen Müll, den wir hinterlassen haben, schauen sich alte Videos an davon, wie andere Menschen ein Videospiel spielen, und begreifen nicht, warum jemand so etwas einst gefilmt hat. (Es ist ja auch kaum zu begreifen.) An Lagerfeuern diskutieren sie über die Videos von Nine-Eleven oder irgendwelchen Youtube-Unsinn. Die Retro-Nerds sind nicht sonderlich beziehungsfähig. Reiner wird an Erotik und Freundschaft in diesem kurzen Buch mehrmals scheitern. Und es gibt Meyer, den dümmlichen Macker- und Machertypen, ein Mann wie ein Brandbeschleuniger, der seine Umgebung immer weiter zwingt. Zu neuen Servern. Zu neuen Inhalten aus der alten Welt.
Die Story ist so fesselnd und gnadenlos diesseitig, dass man sich die ganze Zeit nur fragt, warum erst jetzt jemand darauf kommt. Die Ausstrahlung einer Schriftstellerin darf nichts zur Sache tun, aber dass die Erscheinung der kaum dreißigjährigen Rieks auf dem Autorenfoto und bei ihren ersten Lesungen einer Mischung aus Hunter S. Thompson und dem kleinen Hobbit gleicht, vergrößert die spontane Liebe natürlich nur noch mehr.
Manchmal wünscht man sich auch mehr vom Text oder, dass der Protagonist doch eine Frau hätte sein können. Das Buch bleibt sperrig wie seine Idee, man gerät in eine Art Gammler- und Digitalpunkszene, eine Bewegung soll gegründet werden, nichts gelingt. Das Leben ist irgendwo anders. "Ich träumte davon, dass ich am Strand saß", denkt Reiner einmal. Und da liegen auch Frauen neben ihm. Aber die Bilder der Videos gehen ihm nicht aus dem Kopf. "Wie eine zweite Realität, die sich über den Strand gelegt hatte." Das Buch ist gnadenlos und, vielleicht mehr noch als wir ahnen können, sehr wichtig.
Nur in einem Punkt muss man es unbedingt korrigieren: der Flugsimulator X-Plane 9 ist mitnichten das beste Spiel für Mac OS, wie der Erzähler einmal behauptet. Sondern die Mac-Version von Star Craft I, mit dem Add-on Brood War. Das ist doch wohl klar. Unter uns Insidern.
THOMAS LINDEMANN
Josefine Rieks: "Serverland". Hanser, 176 Seiten, 18 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH