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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Zwei Serien, zwei Filme und Karen Duves Roman „Sisi“:
Was wollen eigentlich jetzt wieder alle von der dekadenten Kaiserin?
Die Majestäten haben schlechte Zähne. In Marie Kreutzers Film „Corsage“, der diesen Sommer lief, gibt es diese Wahnsinnsszene, in der sich Sisi, die Kaiserin von Österreich, und der bayerische König Ludwig ein bisschen menschliche Wärme spenden inmitten der Kälte der Hocharistokratie. Historisch unwahrscheinlich, aber gefühlt richtig, liegen sie dazu miteinander im Bett. Der Märchenkönig, gespielt von Manuel Rubey, wendet sich ganz nah Kamera und Kaiserin zu, lächelt süßlich, und es kommt ein braunes, fauliges Gebiss heraus.
In Karen Duves Roman „Sisi“ gibt es einige Seiten Aufregung, bevor Elisabeth zum ersten Mal auftritt: „Die Schönheit der Kaiserin ist legendär. Dabei ist sie schon achtunddreißig.“ Die spitze Bemerkung über das Alter sieht einer heutigen Erzählerin nicht ähnlich. Sie ist charakteristisch für eine Perspektive, die Duve aus K.-und-K.-Schmäh und der historischen Distanz zu ihrer Hauptfigur zusammensetzt. Ein enorm unterhaltsames Verfahren und zugleich fast dokumentarisch, der Roman besteht aus Details, die man in Zeitzeugnissen finden kann.
Was die Kaiserin angeht, bleibt es dabei: „Ihre Schönheit ist nicht greifbar, sie scheint einen Meter vor ihr her zu schweben.“ Nur was sie sagt, kann man nicht verstehen: „Sie spricht, ohne die Lippen zu bewegen, damit man ihre Zähne nicht sieht. Die verfärbten, leicht durchsichtigen Zähne sind ihr einziger Makel.“
Das Scharfstellen auf den körperlichen Fehler wirkt in beiden neuen Sisi-Geschichten wie ein Kontrastmittel für die bleibende Faszination einer aristokratischen Gestalt, die sich schon zu Lebzeiten in mythische Bereiche hineintranszendiert hat. Die historische Sisi arbeitete daran bekanntermaßen durch ein hartes Körperregime mit, Gewaltmärsche, Turnübungen, Diäten, stundenlange Pflege ihrer Haare, eisige Bäder. Und, indem sie sich nach ihrem dreißigsten Lebensjahr nicht mehr abbilden, schon gar nicht fotografieren ließ. Zu der Zeit, in der der Roman spielt, hat sie ihr öffentliches Bild dem Hörensagen überlassen, in dem es erwartungsgemäß immer großartiger wird. All das kommt in Film und Buch vor und irgendetwas fesselt ein Publikum daran bis in den Bilderwahnsinn des Instagram-Zeitalters hinein. Wie kann das sein?
Der Stoff ist ja nicht neu. Gabriele D’Annunzio, Hugo von Hofmannsthal, Stefan George haben die Kaiserin besungen. Als man nach dem Zweiten Weltkrieg eine aufgemaschelte Vergangenheit gut gebrauchen konnte, entstanden die ikonischen „Sissi“-Filme von Ernst Marischka mit Romy Schneider. Auch danach geisterte sie durch ungezählte Filme und Musicals. Dazwischen erschienen Biografien und Tagebücher von Zeitzeugen, die sich redlich bemühten, etwas historische Plausibilität in die Figur der Elisabeth von Österreich-Ungarn zu bringen.
Trotzdem gibt es, neben dem charismatisch schlichten Film „Corsage“ und Karen Duves Roman, gerade jetzt auch noch zwei Serien auf RTL und Netflix, die einander seltsam ähnliche Geschichten über die junge Sisi als wilde Bayernprinzessin erzählen. Man traut ihr offensichtlich ein besonders ungestümes Begehren zu. Bei RTL begann „Sisi“ mit der masturbierenden Aristokratin, in beiden Fernsehformaten wird die Heldin von einem rotwangigen Gerechtigkeitsgefühl ins politische Engagement getrieben.
Da ist ein Missverständnis der bürgerlichen Welt am Werke, die nicht mehr einsehen will, was die „zwei Körper“ in der Monarchie bedeutet haben: Via Gottesgnadentum verkörperten der Herrscher und die Herrscherin tatsächlich durch den eigenen Leib den Staatskörper, Souveränität und Macht. Diese Idee leuchtet noch einigermaßen ein, wie man neulich erleben konnte, als Hunderttausende Briten ganze Tage anstanden, um an einem Sarg vorbeizugehen, in dem (mutmaßlich) der Körper der verstorbenen Elisabeth II. lag.
Vollkommen fremd ist dem individualistischen Zeitalter aber der Umstand, dass der blutende, hungernde, aus dem Mund riechende Körper eines ganz konkreten Aristokraten etwas anderes als der repräsentative Körper und für die Monarchie völlig unwichtig ist. Weshalb es nur Sinn ergab, dass der auch schon relativ alte neue britische König eine Woche lang in Uniform und Gleichschritt hinter dem Sarg seiner Mutter her marschierte, ganz Disziplin und Zeremoniell, anstatt sich fotografieren zu lassen, wie ihm seine Frau im Rolls Royce die Tränen abwischt.
Mit der Selbstverwirklichung des Einzelnen sozialisierte Betrachter können eine solche Abstraktion vom besonderen Körper nicht fassen, die etwas Älteres als die heute gewohnte Entfremdung ist. Aus diesem Unverständnis entstehen in Geschichten über Royals aller Art die herrlichsten Fantasien geheimer Liebschaften, Gelüste und der Auflehnung gesunder, gut durchbluteter Herrscherinnen gegen das bleiche Adelsregime. Sisi und Franz stürzen sich bei RTL in rasende Liebesnächte, „Die Kaiserin“ auf Netflix geht inmitten des vor Hunger wütenden Plebs vor Mitgefühl in die Knie.
Weniger kitschige Ideen zum merkwürdigen Problem des gespaltenen Königinnenkörpers können aber gerade ästhetisch aufregend werden, so alt der Stoff ist. Marie Kreutzers Film mit Vicky Krieps als Elisabeth findet beeindruckend moderne Bilder dafür, wie der Körper einer Monarchin, die für den dynastischen Nachwuchs gesorgt hat, lästig wird, überzählig in der Monarchie und anscheinend auch für sich selbst. Als sie vierzig wird, sagt ihr Arzt: In dem Alter sterben die Frauen im Volk. Mit der Kraft, die ihr bleibt, zieht sie andere Frauen zu sich in die Unsichtbarkeit, wie die arme, historische Marie Festetics, der sie das Heiraten verbietet.
Diese Anekdote kommt bei Karen Duve auch vor und noch mehr Beispiele dafür, wie die Kaiserin andere so unglücklich macht, wie sich selbst. Duve zeigt Elisabeth als Heiratspolitikerin, die ihr Mitgefühl ungerecht verteilt und das der anderen stets für sich beansprucht. Das Interesse an Politik und an ihrem Mann Franz Joseph hat sie verloren. Leidenschaftlich ist sie vor allem auf dem Pferd: Von der Kaiserin als bester Reiterin der Welt zu reden, ist unter den Sisi-Narrativen so originell, wie es historisch verbrieft ist.
Der Roman „Sisi“ handelt vom aristokratischen Reitsport im 19. Jahrhundert und seinem irren Materialaufwand. Die diversen Rennen, sowie die Gams-, Hirsch-, Hasen- und Fuchsjagd, Parforcejagd, Cub Hunting, Treibjagd, Versuchsjagd mit den jeweils dafür nötigen Pferden, Kleidern und dem Wild, das im Zweifelsfall mit dem Zug herangeschafft und den Aristokraten vor die Flinte getrieben werden muss: „Nun gilt es, die Gämsen einzusammeln und die Strecke zu legen“, heißt es am Ende eines solchen Ereignisses: „Achtunddreißig tote Tiere sind es diesmal. Das ist ein schöner Ausdruck repräsentativer Lebenslust.“ Duves beißende Ironie stellt die Opfer aus, die die Monarchie nicht nur vom Kaiserinnenkörper, sondern auch von der Umwelt verlangen.
An solchen Geschichten kann man auch erkennen, was die Pointe am Leben der historischen Sisi war: Die Sache mit den zwei Körpern war ihr zwar noch vertraut, aber glauben konnte sie schon nicht mehr daran. In der maßgeblichen Biografie schreibt Brigitte Hamann, Elisabeth sei „im Herzen Republikanerin“ gewesen und „voll krampfhafter, ja verbissener Anstrengungen, sich als Individuum zu profilieren“ – gegen die Logik ihrer aristokratischen Existenz. Eine tragische Figur. Zumal die Monarchie zu ihren Lebzeiten schon angezählt war. Die Germanistin Juliane Vogel hat interpretiert, Sisi habe den Zwang der dekadenten Herrschaftsform zu übertrumpfen versucht mit einem Körper- und Bildregime, „das die Wiener Etikette an Härte weit übertrifft“. Sport, exzessive Beschäftigung mit Taille und Haaren, das Verschwinden hinter einem theatralischen Selbstbild als „Gegenzeremoniell“ in einer schwankenden Welt: Dieses Szenario verstehen Zeitgenossinnen, die mit Bildern etwa von Kim Kardashian leben, womöglich besser als jemals zuvor.
Für das kommende Frühjahr ist denn auch noch „Sisi und ich“ angekündigt, ein Film von Frauke Finsterwalder, an dessen Buch Christian Kracht mitgeschrieben hat. Ein Künstlerpaar, das schon früher eindrucksvoll von merkwürdigen Körperregimen erzählen konnte. Auf deren Version kommt es sogar nach diesem exzessiven Sisi-Jahr noch an.
MARIE SCHMIDT
Die exzessive Beschäftigung mit
Taille, Haut, Haar kennen auch
Zeitgenossinnen Kim Kardashians
Die Liebe zu Pferden und zu Hunden hatte Elisabeth von Österreich-Ungarn mit der verstorbenen britischen Königin Elizabeth gemeinsam.
Foto: SZ Photo
Betont ungeschminkt, fastend, rauchend: Vicky Krieps lässt im Film „Corsage“ die Kaiserin historisch plausibel und modern zugleich wirken.
Foto: dpa/alamode film
Karen Duve:
Sisi.
Roman.
Galiani, Köln 2022.
416 Seiten, 26 Euro.
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