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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Bloß nicht schon morgen: Ulrich Eberls Bericht aus den Entwicklungslaboren der künstlichen Intelligenz
In seinem Buch "Smarte Maschinen" legt der Physiker und Technikjournalist Ulrich Eberl in dreizehn Kapiteln, die jeweils von kurzen Science-Fiction-Stücken eingeleitet werden, grundlegende Konzepte und den aktuellen Stand der Forschung auf dem Gebiet der Robotik und künstlichen Intelligenz (KI) dar. Er spricht dazu mit führenden Wissenschaftlern und Technikern und fügt deren Berichte zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen. Auch wenn die Miniaturisierung der Schaltkreise von Mikroprozessoren demnächst an ihre physikalischen Grenzen stoßen werde, kann man demnach damit rechnen, dass erhöhte Rechenleistung und geschickte Vernetzung zunehmend feinkörnig verteilter Computersysteme Wirtschaft und Gesellschaft weiterhin in hohem Tempo transformieren werden. Die dadurch ausgelösten Rationalisierungswellen würden verstärkt den Dienstleistungsbereich und damit die Mittelschicht der westlichen Industriegesellschaften betreffen. Eberl geht jedoch über die üblichen Szenarien der Digitalwirtschaft hinaus und denkt weiter. Sein Fazit: Es gibt keine menschlichen Fähigkeiten und Eigenschaften, die sich prinzipiell nicht künstlich nachbilden lassen.
Eberl beschreibt die jüngsten Etappensiege der Maschinen über den Menschen, vom gedemütigten Schachgroßmeister bis zu den Triumphen des Google-Programms im asiatischen Strategiespiel Go, woraus sich freilich nicht das Kommen einer monolithischen künstlichen Intelligenz erschließen lässt. Er erklärt die dafür notwendigen Systemkomponenten - vom Lernalgorithmus bis hin zu Akkus -, die zusammentreffen müssen, damit transformative Fortschritte in der Qualität der "intelligenten" Technik erzielt werden. Der Text bezieht seine Wucht aus den in ihm dicht gepackten Fakten. Bei der Lektüre stellt sich schnell der Eindruck ein, dass die Prognosen der Experten eintreffen werden, früher oder später, wenn sie auch nicht immer übereinstimmen. Möglicherweise werden die KI-Systeme in Deutschland unterm Strich mehr Arbeitsplätze schaffen als sie hierzulande vernichten, Eberl zitiert entsprechende Studien, als langjähriger Leiter der Innovationskommunikation bei Siemens betont er die Wachstumschancen, die in den vernetzten Industriesystemen stecken. Dass freilich nicht alle von diesen Möglichkeiten profitieren werden, sieht auch er. Als einen von mehreren möglichen Lösungsansätzen erwähnt er das bedingungslose Grundeinkommen.
Man merkt dem Text die Begeisterung seines Autors für die Technik an, er übernimmt die Perspektive der Forscher. Außerhalb der Labors geht der Fortschritt freilich langsamer vor sich. So erwähnt Eberl das Siedlungsprojekt Seestadt in Wien als Beispiel für eine der kommenden Smart Cities. Die Realität dort sieht aber anders aus. Wer auf den öffentlichen Personenverkehr angewiesen ist, muss feststellen, dass die Takte von U-Bahn und Bus offensichtlich aneinander vorbeigeplant wurden. Smart ist an alldem dann nur der dort lebende verzweifelte Web-Entwickler, der sich dank offener Schnittstellen zum Fahrplan eine eigene Web-App zur optimierten Routenplanung in einem verkorksten System basteln kann. Nach gut zwanzig Jahren, in denen Computer unsere Arbeitswelt und Freizeit erobert haben, hält der Fortschrittsglaube des Durchschnittsanwenders oft nur noch bis zum nächsten Software-Update.
Auch auf Seiten der Ökonomen gibt es Zweifel. Der große Produktivitätsschub durch Computertechnik und Internet könnte seinen Höhepunkt bereits hinter sich haben. Der Wirtschaftswissenschaftler Robert S. Gordon führte dies unlängst nicht primär auf die Wirtschaftskrise von 2008/2009 zurück, sondern darauf, dass viele Dienstleistungen generell schwerer zu automatisieren seien als bereits genormte Fließbandjobs. Auch Eberl weiß, dass der Fortschritt nicht so geschmeidig dahingleitet wie eine Tesla-Limousine auf dem Highway. Unrealistisch sei die Befürchtung, "dass es Roboter und Computersysteme in den nächsten Jahrzehnten schaffen könnten, die Menschen auf allen Spielfeldern der Intelligenz zu überflügeln und sozusagen die Herrschaft über die Erde zu übernehmen".
Weil Eberl den Zeitgeist in der KI-Forschung genau wiedergibt, markiert das Buch einen Wendepunkt besonders deutlich. Roboter, Computer und die dazugehörigen Wachstums- und Horrorphantasien gibt es schon lange. Aber während der Internet-Hype vor zwanzig Jahren noch vielen Menschen glaubhaft Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Lebenssituation machen konnte, weil viele Akteure die offenen Technologien selbst zu ihrem Vorteil verwenden und weiterentwickeln konnten, ist die KI-Branche zuallererst Sache von Großkonzernen, die fertige Produkte wie selbstfahrende Autos oder geschlossene Softwareplattformen anbieten. Was nutzt das schönste KI-System, wenn es exklusiv in der Cloud von Amazon, Facebook oder Google läuft und nur einem vergleichsweise winzigen Kreis an wohlinformierten Investoren Reichtum bringt?
Die Diskrepanz zwischen den Prognosen aus den PR-Abteilungen dieser Konzerne und der Lebenswelt ist so offensichtlich geworden, dass die Visionen der Industrie die Zugkraft verloren haben, die Forschungsgelder und Investitionen erst lockermacht. Der vom kürzlich verstorbenen Alvin Toffler einst verkündete "Future Shock" ist heute ein Normalzustand aus Langeweile und Schmerzen. Wir treten ein in eine Phase, in der Science lernen muss, ohne Fiction zu funktionieren.
GÜNTHER HACK
Ulrich Eberl: "Smarte Maschinen". Wie künstliche Intelligenz unser Leben verändert.
Carl Hanser Verlag, München 2016. 406 S., geb., 24,- [Euro].
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