Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D, L ausgeliefert werden.
Kübra Gümüsay zelebriert Sprachkritik
"Lassen Sie uns die Sprache als einen Ort denken. Als ein ungeheuer großes Museum, in dem uns die Welt da draußen erklärt wird." So schreibt die Autorin Kübra Gümüsay in einem Essay mit dem höchste Ansprüche signalisierenden Titel "Sprache und Sein". Nun ist ein Bild der Sprache als Museum zwar alles andere als naheliegend. Aber der Autorin schwebt eine effektvolle Verwendung vor. Sie schickt zwei Kategorien von Menschen in dieses Museum. Da sind zum einen "die Unbenannten", eine Bezeichnung für die Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft, um deren Sprache, man darf konkret an Deutsch denken, es geht. Sie sind die Täter, die sich an der anderen Kategorie von Menschen als Opfern vergehen, nämlich an "den Benannten".
Täter sind sie, weil sie das Privileg genössen, sich als selbstverständliche Norm zu fühlen, während ihre Opfer sich darum bemühen müssten, dieser Norm zu entsprechen. Ein Machtgefälle, das sich nicht zuletzt darin manifestiere, dass die Mehrheitsfraktion die diversen Minoritäten mit Benennungen versieht, nämlich mit "Kollektivnamen", was schlimm ist, weil diese damit auf entmenschlichende Weise ihrer Individualität beraubt werden. Zum Beispiel mit Kollektivnamen wie "Ausländer, Jude, Muslim, Homosexueller".
Das gibt immerhin zu denken: Erheben Muslime, Juden und Homosexuelle, ja selbst Ausländer, von sich aus nie den Anspruch, qua Muslime, Juden, Homosexuelle oder Ausländer zu sprechen? Entmenschlichen sie sich dann selbst, indem sie sich einem Kollektiv zuordnen? Und sind sie dabei tatsächlich immer Opfer der "Unbenannten", die ihnen diese fatale Einordnung aufzwingen? Und was ist der Kollektivname "die Unbenannten" anderes als eine ebensolche, sogar noch abstrakter ansetzende Benennung?
Die Konstruktion mag schief sein, was die Autorin aber beherrscht, ist der Wille zur Dramatisierung. Bei der ihr auch niemand dreinreden kann. Sie weiß schließlich, wovon sie redet, denn sie ist "eine Benannte". Stimmt jemand ihren Einschätzungen nicht zu, sticht nur diese ihre Erfahrung, die durch gleitende Übergänge zwischen den für sie angeführten Beispielen in grelles Licht gesetzt wird. Kaum ist davon die Rede gewesen, dass etwa bilinguale türkischstämmige Schülerinnen in deutschen Schulen nicht auch in den türkischen Literaturkanon eingeführt werden - was die Autorin furchtbar findet -, ist man schon auf der nächsten Seite bei der brutalen Repression der Kurden in der Türkei; und etwas weiter hält man dann bei der Perspektive der "Kolonisierenden, der Sklaventreiber und der Entmenschlichung". Und kommt dann noch als Zeuge einer als einengend empfundenen Sprache George Steiner hinzu, fehlt auch der schlimme Schatten der Sprache der deutschen Unmenschen nicht.
Unermüdlich wiederholt Gümüsay, dass die Zuordnungen zu Kollektiven, die über den konkreten Menschen hinweggehen, fatal sind. Wobei sie explizit distanzierende, abschätzige oder aggressive Gebrauchsweisen im Visier hat. Aber sie in den Blick zu nehmen genügt dieser Autorin nicht, sie möchte daraus ein "strukturelles" Problem machen. Was bei ihr heißt: Sie schraubt sich in jene Höhen, in die sich der Titel ihres Buches reckt und in denen die "Benannten" und "Unbenannten" ihren Auftritt haben, garniert mit manchem hübschen philosophischen Zitat und unterfüttert mit beschwörender wie klagender salbungsvoller Rede.
So wenig erhellend das auf Buchlänge ist, so interessant ist doch, dass die Autorin damit ein Publikum gefunden hat. Als Symptom verdient das Beachtung. Die fünfzigtausend verkauften Exemplare, die der Verlag anführt, werden wohl ein wenig aufgeschnitten sein, aber zwischendurch reichte es ja tatsächlich für einen dritten Platz auf der Liste bestverkaufter Bücher. Unter den Käufern mögen manche sein, die sich etwas für einen Opferdiskurs mit besonderer Note abspicken wollen. Aber die Mehrheit dürften doch wohl jene stellen, die ihr strahlend gutes schlechtes Gewissen als "Unbenannte" zart bewegt sehen vom Ausblick auf die bessere Welt, in der allen Kollektiven, und Ausländerbehörden auch, die Stunde geschlagen hat. Und das reicht mittlerweile schon dafür, wie es ein Zitat auf dem Umschlag formuliert, ein Buch als "poetisch und politisch zugleich" anzupreisen.
HELMUT MAYER
Kübra Gümüsay: "Sprache und Sein".
Hanser Berlin Verlag,
Berlin 2020. 208 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main