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Selbstverständlich ist sie das nicht. Es gibt nicht nur Schlupflöcher im Grenzzaun, durch die Bier und Zigaretten geschmuggelt werden, sondern auch eine gemeinsame Geschichte. Jahrhundertelang gehörten die Gebiete auf beiden Seiten der Straße zu wechselnden Reichen: der Kiewer Rus, dem Königreich Polen, dann Polen-Litauen, der Habsburger-Monarchie. Die Grenzen wanderten, die Bewohner aber blieben, wo sie waren: Polen, Deutsche, Litauer, Ukrainer, Russen und Juden bildeten einen Vielvölkerstaat, in dem Religionsfreiheit garantiert war. Erst das 20. Jahrhundert beendete die weitgehend friedliche Koexistenz. Umsiedlungen, Pogrome, Massaker, Vernichtungskrieg sowie die Deportation und Ermordung der Juden löschten die jahrhundertealte gemeinsame Kultur aus.
Auf Spuren der in einer Generation zerstörten Vergangenheit stößt der Kulturwissenschaftler und Ornithologe Michal Ksiazek auf seiner Wanderung überall: orthodoxe Kirchen, die in katholische verwandelt wurden, Friedhöfe mit kyrillisch beschrifteten Grabsteinen, das Vernichtungslager Sobibór. Ksiazek schaut "aufmerksam und langsam"; was er unter Vögeln und Insekten gelernt hat, wendet er auch auf die Menschen, ihre Behausungen und Kleidung, ihre Tätigkeiten, ihre Sprache und Sprechweisen an. "Beobachten", schreibt er, "soll man so, als sähe man zum ersten Mal im Leben."
Aber beim Beobachten bleibt Ksiazek nicht stehen. Er verbindet das Beobachtete mit der Betrachtung, das Phänomenologische mit der Reflexion. Daraus entstehen Miniaturen, die wie knappe Essays wirken, sprachlich beeindruckend und mit langer Nachwirkzeit. Und so ist seine "Wanderung durch Polen" viel mehr als das - nämlich der Versuch, die Frage zu beantworten, was es heißt, ein Mensch zu sein.
beha.
Michal Ksiazek: "Straße 816 - Eine Wanderung durch Polen". Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. S. Fischer, 272 Seiten, 22 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
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