Margaret Atwood zählt zu den wenigen kanadischen Autorinnen und Autoren, die es zu Weltruhm gebracht haben. Ihre Dystopie "Der Report der Magd" wurde in zahlreichen Ländern ein Bestseller. Nun ist Atwoods Analyse der literarischen Landschaft ihrer Heimat erstmals auf Deutsch verlegt worden, knapp 50
Jahre nach Veröffentlichung des Originals.
Ich mag Atwoods Romane, stellte vor der Lektüre von…mehrMargaret Atwood zählt zu den wenigen kanadischen Autorinnen und Autoren, die es zu Weltruhm gebracht haben. Ihre Dystopie "Der Report der Magd" wurde in zahlreichen Ländern ein Bestseller. Nun ist Atwoods Analyse der literarischen Landschaft ihrer Heimat erstmals auf Deutsch verlegt worden, knapp 50 Jahre nach Veröffentlichung des Originals.
Ich mag Atwoods Romane, stellte vor der Lektüre von "Survival" selbstkritisch fest, dass ich wenig über Kanada und noch weniger über Canlit wusste und stürzte mich erwartungsvoll auf die vom Verlag recht vollmundig als skandalös und hochamüsant angepriesene Literaturgeschichte.
Was habe ich durch das Buch gewonnen? Nun, durchaus an Erkenntnis, etwa dass Atwood das Überleben als eines der zentralen Symbole kanadischer Literatur ausmacht. Dass die Natur von kanadischen Autoren als zerstörerisch und brutal beschrieben wird, dass ihre Protagonisten verzweifelte Verlierer sind, geprägt von der kolonialen Ausbeutung ihrer Heimat.Die Zukunft einer Nation benötigt eine identitätsstiftende Vergangenheit, und der Blick auf den Ist-Zustand der Literatur kann sicher zum (Selbst-)Verständnis einer Nation beitragen. Allerdings kann ich Atwoods Thesen nicht einmal ansatzweise bewerten, kenne ich doch so gut wie keines der zahlreich zitierten Werke. Überdies ist ihre Analyse veraltet, sie bildet den Status von vor 50 Jahren ab. Und das ist mir zu wenig. Ich frage mich einerseits, wieso Atwood es - abgesehen von weiteren Vorworten - nicht für sinnvoll und nötig erachtete, ergänzende Kapitel zur jüngeren Canlit zu verfassen. Außerdem würde ich gerne wissen, wieso der Verlag ein derart angestaubtes und veraltetes Buch gerade jetzt erstmals in Deutsch veröffentlicht. Vermutlich wäre das ohne Atwoods Prominenz und der Tatsache, dass Kanada Gastland der letzten Frankfurter Buchmesse war nicht geschehen.
Was mich ferner stört ist die Verwendung des Begriffs "amerikanische Literatur", wenn US-amerikanische Literatur in Abgrenzung zur Canlit gemeint ist. Was ist mit der Literatur aus Mittel- und Südamerika? Aber es kommt noch schlimmer: Dass Atwood es bei der Neuauflage von 2013 nicht erforderlich fand, die postkoloniale, äußerst negativ besetzte Fremdbezeichnung "Indianer" durch First Nations oder Natives zu ersetzen, ist inakzeptabel und ignorant. Dass der berlin Verlag sich hier mit einer einzigen, winzigen Fußnote aus der Verantwortung stiehlt, enttäuscht mich überdies. Ich wünsche mir hier, dass man Haltung zeigt. Ebenso sollte man wissen, dass Atwood - selbst Anglokanadierin - auf die frankokanadische Literatur nur stiefmütterlich eingeht.
Für mich ein insgesamt durchwachsenes Leseerlebnis, leider.