Unter der Oberfläche
Die kleine Vulkaninsel Tristan da Cunha ist eine der entlegensten bewohnten Insel der Welt. Die wenigen Einwohner leben von der Fischerei und Guano, einer begehrten Handelsware, die sie auf den nahgelegenen Vogelinseln sammeln. Nicht allzu häufig ankern Schiffe an der schroffen
südatlantischen Küste, ungünstige Winde erschweren manchmal ein Anlegen. Fremde Schiffe sind eine…mehrUnter der Oberfläche
Die kleine Vulkaninsel Tristan da Cunha ist eine der entlegensten bewohnten Insel der Welt. Die wenigen Einwohner leben von der Fischerei und Guano, einer begehrten Handelsware, die sie auf den nahgelegenen Vogelinseln sammeln. Nicht allzu häufig ankern Schiffe an der schroffen südatlantischen Küste, ungünstige Winde erschweren manchmal ein Anlegen. Fremde Schiffe sind eine überlebensnotwendige Abwechslung, bringen Lebensmittel und andere nützliche Dinge zum Tausch.
Die finnische Autorin Marianna Kurtto hat diese karge Insel als Ort ihres Romans „Tristania“ gewählt. Die Ereignisse kreisen um wenige Personen und lassen sich zeitlich von den späten 1950er Jahren bis Mitte der 1960er Jahre einordnen. Eine wichtige Rolle spielt Lars, der einzige Bewohner, den es weit hinaus in die Welt zieht. Er ist oft monatelang unterwegs, bringt seinem Sohn Jon Bücher und Süßigkeiten von seinen Reisen mit. Irgendwann ist er länger als üblich verschwunden, hat sich mit einer neuen Frau in England eingerichtet. Das Leben seiner Frau Lise und seines Sohnes sind geprägt durch die Abwesenheit des Ehemanns und Vaters. In unmittelbarer Nachbarschaft von Lise und John leben Martha (Jons Lehrerin) und ihr Mann Bert, deren Ehe kinderlos geblieben ist, sowie Lises Freundin Elide mit ihrem Ehemann Paul und ihren zahlreichen Kindern.
Kurtto schreibt in einer bildreichen, lyrisch-poetischen Sprache. Sie erschafft eine melancholische Atmosphäre, lässt uns Stück für Stück an den Handlungen, Gedanken und der Gefühlswelt der Protagonist:innen teilhaben. Schon bald ist klar, dass es unter der Oberfläche brodelt, tiefe Verletzungen und traumatische Ereignisse stattgefunden haben müssen. Kurtto platziert Andeutungen sehr geschickt, führt uns in die Irre, lässt manches nur erahnen. Bilder wollen entschlüsselt werden, die Sichtweisen auf einzelne Personen verändern sich während des Lesens, nichts ist so, wie es zunächst scheint. 1961 kommt es zur Katastrophe: Der Vulkan bricht aus, nicht alle können evakuiert werden, einige Menschen werden vermisst. Lars, der von dem Unglück in der Zeitung erfährt, macht sich auf den Weg, in der Hoffnung, seine Angehörigen zu treffen ….
Kurtto erzählt eine tragische Geschichte von Sehnsucht, Versäumnissen, Fehlern, Schuld und Heimat. Die Sprache ist zutiefst poetisch, fast schon lyrisch und vermittelt eine sehr besondere, schwermütige Atmosphäre, in der ich mich regelrecht verfangen habe. Abseits des Mainstream ist „Tristania“ eine anspruchsvolle, literarische Perle, die mir sowohl inhaltlich als auch sprachlich in Erinnerung bleiben wird. Ich hoffe sehr, dass weitere Werke der Autorin ins Deutsche übersetzt werden. Die hier vorliegende Übersetzung von Stefan Moster ist übrigens eine Meisterleistung.